Liebe Freunde,
der eine Besuch ist wieder gefahren, der andere Besuch ist schon da: mein alter Freund Michael. Wir waren vor mehr als 30 Jahren Kollegen im Seelsorgeinsititut in Bethel und haben unsere Freundschaft seitdem lebendig gehalten.
Als erstes sind wir zum Vulkan Irazu gefahren – ein touristisches Muß! Für mich war es das dritte Mal. Zweimal hatte ich grosses Glück mit dem Wetter: Der Irazu war beide Male wolkenfrei und man hatte gute Sicht. Dieses Mal fuhren wir sehr früh am Morgen, aber bei regnerischem Wetter ab. Eigentlich ungewöhnlich, denn in der ersten Tageshälfte hat hier fast immer die Sonne geschienen. Ich befürchtete, dass wir dieses Mal nicht einmal bis zum Gipfel kommen würden, sondern in im Nebel stecken bleiben würden. Der Vulkan Irazu liegt 3.400 m hoch und ist – besonders in der Regenzeit – sehr oft im Wolkennebel. Am Parkeingang sagte man uns, heute sei es sicher nicht möglich, etwas vom Krater zu sehen. Aber wir sind dann doch weiter bis zum Gipfel gefahren – und siehe da: die Wolken rissen auf und vor uns lag der beeiundruckende Krater. Auch den typischen Schwefelgeruch konnte man riechen. Der kam jedoch von einem benachbarten Vulkan, der zur Zeit aktiv ist und deshalb nicht besucht werden kann.
Der Vulkan Irazu liegt in der Nähe der Stadt Cartago. Cartago war früher einmal für kurze Zeit die Hauptstadt von Costa Rica. Heute ist Cartago in ganz Costa Rica als Wallfahrtsort bekannt. Vor gut einhundert Jahren ist hier einem Bauernmädchen die Jungfrau Maria begegnet , die ihr gesagt, dass hier eine Kirche gebaut werden sollte. Darauf schien der damalige Bischof gewartet zu haben. Er ließ es sich nicht zweimal sagen lassen und begann, eine beeindruckend große Kirche zu bauen.
Am 2. August jeden Jahres ist der Tag der Erinnerung an die wundersame Erscheinung. Hunderttausende Menschen kommen dann hierher gepilgert. Sie sind oft tage- und sogar wochenlang zu Fuß unterwegs. Endlich am Ziel angekommen, rutschen die Gläubigen auf Knien bis hin zu Marienstatue. Für einen eingefleischten Protestanten wie mich alles irgendwie gruselig. Und doch: Wir sind auf dem Weg zum Vulkan Irazu. Wir begegnen endlos scheinende Pilgerscharen. So , als würde eine riesige Herde Schafe von einem unsichtbaren Hirten über Highways und alle Strassen des Landes nach Cartago getrieben. Eine riesige logistische Herausforderung das Ganze. Aber alles scheint gut zu funktionieren . Vor allem hat mich beeindruckt, dass viele Familien mit Kindern unterwegs waren. Und vielleicht noch mehr beeindruckt hat mich, dass viele Jugendliche den Pilgerweg gehen. Es ist in Costa Rica das event des Jahres. Wir haben darauf verzichtet, uns in das Getümmel zu stürzen und haben uns statt dessen im Pfarrhaus entspannt.
An einem anderen Tag sind wir Richtung Pazifikküste gefahren. Über viele Brücken muß man auf dem Weg dahin fahren, denn die Landschaft ist von tiefen Flusstälern „durchfurcht“. In der Regenzeit schimmert die Landschaft in unterschiedlichen Grünfärbungen. Eine Wohltat für das Auge. Kurz vor Erreichen der Küste bei Jaco ist seit kurzem der Carara-Nationalpark entstanden – einer der geschützten Regenwälder im Land. Es ist beeindruckend, den markierten Pfad durch den Regenwald zu gehen, die unterschiedlichen Vogelstimmen zu hören und sogar die lauten Rufe der Brüllaffen, die es hier gibt. Aber bei der Hitze des Tages und der hohen Luftfeuchtigkeit ist es auch eine schweißtreibende Angelegenheit. Nach einer Stunde sind nicht nur die Klamotten am Leib schweiß-durchnäßt, sondern irgendwie auch der ganze innere Mensch, der nach einem Raum mit aircondition und einem kühlen Bier verlangt.
Nur wenige Kilometer entfernt vom Nationalpark fährt man über die „Krokodil-Brücke“ (auf spanisch : cocodrillo). In Wirklichkeit sind es Kaimane – die kleinere Sorte der Krokodile – die unter der Brücke am Flußufer dösen (oder lauern). Man könnte denken, dass dies eine touristische Attraktion ist, die geschäftsmäßig zu nutzen wäre. Statt dessen drücken sich jeden Tag Hunderte von Menschen auf dem schmalen Gehsteig zwischen Brückengeländer und Autostrasse, um unter sich das gruselige Naturereignis zu bestaunen. Also ich hätte da eine Idee: Über dem Fluß ein gut gehendes Restaurant und vielleicht im Menue-Angebot. grillo carne cocodrillo. Aber auf mich hört ja keiner.
Am feinkörnigen Pazifikstrand unter Mangobäumen haben wir es schließlich doch nicht so lange ausgehalten, wie wir uns vorgestellt hatten. Ein, zwei kurze Dops im warmen Badewannenwasser haben uns schon gereicht. Und zu den Sonnenanbetern gehören wir beide nicht. Dafür haben wir auf dem Rückweg noch das kleine Städtchen Sarchi besucht. Es ist in Costa Rica für seine bunt-bemalten Ochsenkarren und Holzschnitzereien bekannt. Mit solchen von Ochsen gezogenen Karren hat man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrunderts die Waren durchs Land transportiert. Erst die Eisenbahn löste Ende des 19.Jahrhunderts die Ochsenkarren ab. Für die Eisenbahnfans: Costa Rica ist eines der ersten Länder in der Welt, das eine Eisenbahn-Verbindung durchs Land baute. Anlaß war der Abtransport des Kaffee und der Bananen zu den Häfen an der Karibik- und Pazifikküste.
Die letzten Tage im Pfarrhaus waren nun gezählt. Gerne hätte ich die neue Pfarrerin kennengelernt, etwas erzählt von meinen Einrücken und etwas gehört von ihren Erwartungen. Aber es blieb nur bei einem kurzen Telefonat in der Woche vor meiner Weiterreise nach Mexiko. Ihr Mann arbeitet schon seit ein paar Jahren für die einheimische lutherische Kirche (ILCO).
Er ist entsendet von dem bayrischen Missionswerk Mission – eine Welt. Vielleicht eröffnet sich so eine engere Verbindung zwischen der deutsch-sprachigen lutherischen Gemeinde und der einheimischen lutherischen Kirche. Aus meiner Sicht wäre ein gemeinsames Entwicklungs-Projekt in Verbindung mit dem regionalen Büro von Brot-für-die-Welt eine gute Sache.
Die letzte Woche im Pfarrhaus stand noch einmal im Zeichen handwerklicher Tätigkeiten im Pfarrhaus. Der letzte Schliff vor dem Dienstbeginn der neuen Pfarrerin. Am letzten Sonntag im August habe ich dann meinen letzten Gottesdienst in der Gemeinde gefeiert. Etliche Gemeindeglieder, die im August Ferien in Deutschland gemacht hatten, waren zurück, sodass der Gottesdienst gut besucht war. Inna, die Organistin der Gemeinde und ich hatten für den Gottesdienst drei kleine Musikstücke vorbereitet: Flöte und Orgel. Ich wollte die Musikstücke nicht während des Gottesdienstes und auch nicht im Talar spielen. Am Ende des Gottesdienst habe ich also dazu eingeladen, noch etwas Musik zu hören und unter Beweis zu stellen, dass man mir schon früh die Fötentöne beigebracht hat. Anschließend gab es ein Grillfest im Innenhof und einen schönen Abschied.
Am letzten Abend wurden Michael und ich von Edgar Sanchez, dem Leiter des Regionalbüros von Brot-für-die-Welt zum Essen in ein sehr schönes Restaurant am Rande von San José eingeladen. Es hatte den ganzen Nachmittag und Abend geregnet und je höher wir die Strasse zum Restaurant hinauf fuhren, desto wolkenverhangener wurde es. Die letzten 300 m fuhren wir auf einer schmalen, steilen Strasse bis wir vor dem Retaurant parkten. Ein typisches Tico-Restaurant und bekanntes Ausflugsziel. Jetzt am Abend war es kühl geworden und es gab nicht viele Gäste. Edgar erklärte uns, dass man von hier einen herrlichen Ausblick auf die ganze Stadt San José habe. Und nachts könne man das Lichtermeer der Stadt sehen. Wir sahen allerdings gar nichts. Alles in dichten Wolken. Es gab wunderbar-schmackhaftes Essen und – wie immer – sehr reichhaltig. Kaum hatten wir das Essen beendet öffnete sich plötzlich der Himmel und vor uns lag San José im Lichtermeer. Was für ein zauberhaftes Abschiedsbild! Und was für ein schöner Abschiedsband mit Edgar!
Am folgenden Tag mussten wir das Pfarrhaus räumen, weil die neue Pfarrerin mit ihrem Mann einzog. Für die letzte Übernachtung vor unserer Weiterreise nach Mexiko und Kuba wurden Michael und ich deshalb von Christel Melchior, der Vorsitzenden des Kirchenvorstandes zu sich nach Hause eingeladen. So schloß sich auch in dieser Hinsicht ein Bogen für mich, denn die erste Nacht in Costa Rica hatte ich auch bei ihr zu Hause übernachtet, weil die Maler mit dem Streichen meines Zimmers im Pfarrhaus noch nicht fertig waren. Christel Melchior, die Gemeindeleiterin brachte uns am nächsten Morgen zum Flughafen, und dann warteten Mexiko und Kuba auf uns!
Costa Rica , August 2017
Herzliche Grüße,
Kurt Jürgen