Liebe Freunde,
heute Nachmittag habe ich ein Gemeindeglied zu Hause besucht. B. war viele Jahre sehr aktiv in der deutschen lutherischen Gemeinde. Jetzt hat sie sich etwas zurückgezogen. Sie lebt in dem beliebten Stadtteil Escazu – vor fünfzig Jahren gab es hier nur Kaffeeplantagen. Im alten Stadtzentrum weht einem noch etwas an von dieser Vergangenheit. Nicht alle der typischen alten Holzhäuser mussten modernen Wohn- und Bürogebäuden weichen. Escazu ist ein ausgesprochen beliebter Wohnort. Es gibt hier viele kleine und etliche ziemlich prächtige private Villen Aber inzwischen fühlen sich viele dieser Bewohner nicht mehr sicher, obwohl sie ihre Häuser total verbarrikadiert haben. „Wir leben hier hinter Gittern“, sagte neulich jemand von ihnen zu mir.
Und in der Tat: Wenn ich nur an das Pfarrhaus denke, das ich zur Zeit bewohne: In der vergitterten, verschiebbaren Toreinfahrt gibt es eine kleine Tür für den Personenverkehr. Wenn ich einen Besucher hereinlassen will, muß ich mindestens zwei Türen aufschließen: die kleine Tür im großen Tor und den vergitterten Hauseingang. Also das Gitter, welches vor der eigentlichen Haustür (aus Holz) angebracht ist. Tagsüber lass ich die (Holz)Haustür immer offenstehen. Wegen der Durchlüftung im Haus. Nachts schließe ich alle Türen und Gittrer zu. Die Haustür sichere ich noch mit einer Quer-Sperre in Form einer massiven Eisenstange, welche verhindern soll, dass die Haustür aufgebrochen wird. Von der Küche gibt es einen Seiteneingang zum Kirchraum. Die Tür zwischen Küche und Kirche wird ebenfalls nicht nur abgeschlossen, sondern durch eine Querstrebe aus massivem Eisen geschützt. Die beiden großen Kirchentüren (zur Strasse bzw. zum Innenhof) sind ähnlich gesichert. Ich habe mir fest vorgenommen, alle Türen nachts zu ordnungsgemäß zu verschließen und zu sichern. Aber irgendwie bleibt imm er etwas offen. Vielleicht eine „Fehlleistung“ , nichts verhindern, sondern ermöglichen soll. Ich bin hier schließlich allein im Haus und ein wenig nächtliche Gesellschaft wäre womöglich auch eine interessante Erfahrung…
Viele Bewohner hier haben also Angst, dass in ihre schönen Häuser eingebrochen wird, und man sich letztlich nicht dagegen absichern kann. Ich habe mir sagen lassen, dass es eine neue Bewegung in der Immobilienszene gibt: Es ist inzwischen attraktiv, in einem condominium zu wohnen. Das heißt, in einem sicherheitstechnisch und durch Wachpersonal völlig abgesicherten Wohnkomplex zu wohnen, der mehrere Wohnungen umfasst. Das gibt ein besseres Gefühl der Sicherheit. (Ich habe den Berichten immer aufmerksam zugehört. Vor allem deshalb, weil ich mir ausrechne, in zwei, drei Jahren stehen all die schönen Villen günstig zum Kauf an . Vielleicht gibt es sogar Villenbesitzer, die fluchtartig ihr Anwesen verlassen und froh sind, wenn sie es mir für einen sagen wir einmal symbolischen Preis überlassen dürfen. Da die Konkurrenz auch hier nicht schläft, verrate ich nicht, was ich unter „symbolischem Preis“ verstehe).
Überhaupt: Imm
obilien. Neulich hatte mich Marion, eine nette Kiurchenvorsteherin eingeladen, mit ihr in die Finca ihrer Familie zu fahren. Ein riesengroßes Stück Land. Hügelig. Sattes Weidegrün. Es fehlen nur die schneebedeckten Alpen im Hinter- und die Kuhglocken im Vordergrund. Von hier kann man bis nach San José sehen und ihr Vater habe immer behauptet, auch bis zur Pazifikküste. (Vermutlich geträumt. Aber die Geschichte wird weitererzählt und lebt. Toll! So könnte man hier eine Predigt anfangen: Manche biblischen Geschichten sind wie die Geschichte eines Mannes, der den Pazifik sah…).
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