Dritter Brief aus Äthiopien – Groß rauskommen
Liebe Freunde,
vor der Kirche in Kotobe habe ich zwei Nuer getroffen. Einen von beiden kannte ich schon vom letzten Jahr. Er ist Pastor der presbyterianischen Gemeinde der Nuer, die in der Kirche in Kotobe nachmitttags ihre Gottesdienste feiern dürfen. Die Gemeinde zählt etwa zweihundert Mitglieder. Sie sind alle vor den Bürgerkriegswirren im Südsudan geflohen. Äthiopien hat viele von ihnen aufgenommen. Und nicht nur Nuer, auch geflüchtete Menschen aus Somalia und Eritrea. Vermutlich hat Äthiopien viel mehr geflüchtete Menschen aufgenommen als Deutschland. Nur niemand in der Welt spricht darüber.
Der Südsudan ist der jüngste Staat der Welt. Zwei Jahre nach seiner Gründung im Jahr 2011 versinkt der junge Staat im Bürgerkrieg, der immer noch andauert. Vierzig hochrangige Militärs und Gouverneure sind wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Vier der zwölf Millionen Südsudanesen sind aus dem ölreichen Land vor der Gewalt gefohen. Zehntausende sind getötet. Die UN fordern seit l,angem schon die Einsetzung eines internationalen Gerichtshofs unter Beteiligung der Afrikanischen Union (AU). Länder wie der Südsudan sind Anlaß, an Afrika zu verzweifeln. Und dann begegnen einem Menschen, die sich schon vor Beginn ihres Gottesdienstes draußen versammeln und singen.
Die Nuer sind echt lange, tiefschwarze, beeindruckende Zeitgenossen. Als ich den Nuer-Pastor und dem Evangelisten der Nuer-Gemeinde wiederbegegne, muß ich mir im Gespräch doch ziemlich den Hals verrenken. Ich schlage vor, dass wir uns vielleicht besser im Sitzen unterhalten. Im Laufe des Gespräches muß ich immer wieder auf die „Schmucknarben“ im Gesicht der Männer sehen. Eine in der Kultur der Nuer verankerte Ausdrucksform von Zugehörigkeit. Ich sage: I like your tatoos. Im selben Moment bekomme ich einen Schreck über das, was ich gerade gesagt habe und schäme mich für meine kuulturelle Inkompetenz.
Der Nuer-Pastor fragt mich, ob ich nicht für einige Kinder seiner geflüchteten Gemeindglieder Stipendien organisieren kann. Ich sage ihm zu, seine Bitte an unsere äthiopischen Partner, die Bright Light Commission weiterzugeben. Vielleicht können wenigstens zwei Kinder der Flüchtlinge mit in unser Hilfsprogramm übernommen werden. Aber das will ich nicht entscheiden. Am Schluß unseres Gespräches habe ich jemanden gebeten, noch ein Foto von uns zu machen. Der das Foto machte, mußte sehr weit zurück gehen, um uns alle drei aufs Bild zu bekommen. Er hat sich schließlich entschieden, ein Brustbild von uns Dreien zu machen. Später sehe ich mir das Foto an: Ich sehe zwei lang aufgeschossene schwarze Männer und einen kleinen, dicklichen weißen Mann. Der sehr weiße Kopf des weißen Mannes befindet sich exakt auf Bauchhöhe der beiden schwarzen Männer. Lässig legen diese ihre Arme über die Schulter des weißen Mannes. Dabei blickensie unverwandt und doch gemütvoll in die Kamera. Der kleine weiße Mann dagegen scheint zu ahnen, was er bald zu sehen bekommen wird. Mir gefällt das Foto irgendwie. Es könnte die Überschrift haben: Gernegroß! Ein Foto jedenfalls, das ich mir (im Sinne der Realitätsüberprüfung) ansehen sollte,wenn ich mich gerade für ziemlich groß halte…
Am Abend habe ich mich mit einem früheren Mitarbeiter der Schweizer Hilfsorganisation SELAM in meinem Hotel getroffen. Ich habe den beglückkenden Eindruck, endlich den Mann getroffen zu haben, der in der Lage ist, das von mir seit vielen Jahren verfolgte Projekt einer Landwirtschaftsschule kombiniert mit einer Lehrwerkstatt für Landmaschinenreparatur und Landmaschinenhandel zu verwirklichen. Endlich jemand, der sich auskennt mit den notwendigen formla-bürokratischen Schritten und darüber hinaus die erforderliche technische und wirtschaftliche Kompetenz hat! Allerdings braucht er ein Startrkapital von etwa dreißigtausend Euro….Im nächsten Leben erbe ich hoffentlich eine Schraubenfabirk (oder Ähnliches), die vollautomatisch produziert und Gewinn einfährt, mit dem ich dann sinnvolle Projekte verwirklichen kann….
Jetzt gehe ich erstmal schlafe und träume von den millionen Schrauben und Schräubchen, wie sie in kleine und grössere Behälter fallen und wie ich am Ende jeden Monats zur Bank gehe, und den Gewinn kontrolliere. Ich sehe mich die eingegangenen Geldscheine zähle – immer wieder von vorne. Ich kann es nicht glauben…
Gute Nacht und herzliche Grüsse,
Kurt Jürgen