Erster Brief aus Costa Rica – Verloren und wiedergefunden

Liebe Freunde,

hurra, das Internet und die mails funktionieren offenbar!

Es ist jetzt 16 Uhr hier – bei euch 8 Stunden später, also Mitternacht!!

Der Flug war echt stressig. Ich hatte mir gleich gedacht: das könnte knapp werden mit der ZeiErster Brief aus Costa Rica – Verloren und wiedergefundent zum Umsteigen in Paris. Meine Leute in Costa Rica hatten mich aber beruhigt: Keine Sorge, im Notfall würde der Weiterflug mit Air France in Paris warten, bis alle Passgaiere von den Zubringerflügen an Bord seien. Air France in Hannover hatte mir sogar einen Plan vom Flughafen in Paris mitgegeben,damit ich schnell zu Schalter M 49 gelange: Shuttle zum Terminal M, Schalter 49.

Dort traf ich rechtzeitig zum Boarding ein. Als ich dran war und meine Papiere zeigte, sagte man mir, der Flug sei leider kurzfristig verlegt worden. Nach vielen Rückfragen bei vielen Menschen von Air France, die sich alle nicht zuständig fühlten und mir nicht weiterhelfen konnten oder wollten, verstand ich, dass es nicht darum ging, einfach zwei Schalter weiterzugehen, sondern noch einmal mit dem Shuttle zu einem ganz anderen Terminal zu fahren und wieder einen endlos langen Gang bis zum Schalter K 51 zu gelangen…. Nach erneuter Bordgepäck-Kontrolle habe ich es tatsächlich auf die Minute genau geschafft! Völlig durchgeschwitzt habe ich mich erstmal auf meinen Sitz im Flugzeug fallen lassen…

Da es sehr kalt wurde im Flieger suchte ich meinen Pullover. Ich hatte ihn schon in der Hand und auf den Sitz gelegt – glaubte ich mich zu erinnern. Dann aber fiel mir ein: Nein, ich habe ihn bei der erneuten Bordgepäck-Kontrolle im neuen Terminal doch beiseite gelegt, als ich Schwierigkeiten hatte, meinen Laptop wieder zurück in den Rucksack zu „stopfen“. Da lag er jetzt noch. Mein schöner grauer, fast neuer – d. h. etwa zehn Jahre alter – Lieblingspullover. Mist! Mist und nochmal Mist! Ich versuchte mich mit dem alten Seemansspruch zu beruhigen: Ein bisschen Schwund ist immer beim Segeln…

Beim Einnicken während des Fluges stellte ich mir vor, wie ich in Costa Rica einen Ersatzpullover kaufen würde. Aber was ist Ersatz gegenüber dem Original! Über all meinen Überlegungen hatte ich ein paar tausend Flugkilometer hinter mir. Auf dem Rückweg von der Toilette setzte ich mich versehentlich auf den leeren Platz vor mir. Kein Wunder, denn in meiner Sitzreihe saßen ja die zwei jungen schönen Frauen, die mir gleich aufgefallen waren. Aber irgendetwas lag auf dem Sitz: ein Schweden-Krimi und ein grauer Pullover! Meine erste Erinnerung war also doch richtig: Ich hatte Pullover und Krimi auf den Sitz gelegt, als ich meinen Rucksack in das Fach oüber mir hievte – aber auf den Sitz vor mir. Ich hatte offenbar nur auf die jungen Frauen geachtet. Zwei saßen in meiner Reihe – und zwei andere in der Reihe vor mir… Liegt es am Alter, dass man nicht mehr richtig unterscheiden kann?

Nun war alles Verlorene wiedergefunden und mein Kopf frei für neue Gedanken, um die lange Flugzeit von 13 Stunden zu vertreiben. Vielleicht würde die Zeit wie im Fluge vergehen, wenn ich die übliche Die-Gedanken-sind-frei-Runde“ machte: Hütten in Äthiopien bauen, neue Studienreisen durch Äthiopien, Libanon und Osteuropa, mir neue Kurse und Seminare ausdenken, ins Import-Export-Geschäft einsteigen, endlich mein Buch schreiben…. Aber es nützt alles nichts. Ich komme immer wieder zurück auf meinen grauen Lieblings-Pullover, in den ich mich jetzt einkuschele….

Nach gefühlt dreitägigem Flug landeten wir endlich in Panama. Der Flug nach San José dauert nur eine Stunde. Bei Nacht über den Panamakanal mit all den Lichtern entlang der Kanaleinfahrt zu fliegen war schon eindrücklich. Neben mir saß eine junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn, der ganz wunderbar seine Mutter mit Fragen überschüttete, die sie geduldig und liebevoll beantwortete – b richtig, entzieht sich meiner Sprachkenntnis.

Am Flughafen wurde ich von Frau Storjohann (die mich nach einem Vertretungs-Gottesdienst gefragt hatte, ob ich nicht Lust hätte, in Costa Rica Vakanzvertretung zu machen) und ihrem Mann sowie von Frau Melchior (seit 20 Jahren Kirchenvorstand- Vorsitzende) abgeholt. Frau Melchior hatte alles so organisiert, dass ich die erste Nach bei ihr im Haus übernachten sollte, da im Pfarrhaus noch die Maler am Werke seien. Wir fuhren mit ihrem schönen BMW-Geländewagen einmal durch die ganze Stadt. Im Dunkeln nahm ich die historischen Gebäude im Zentrum von San José ahnungsweise wahr. Dann kamen wir in ein Villenviertel. Ein Schlagbaum mit Wächter. Ein Garagentor, das sich ferngesteuert öffnet. Da waren wir. Eine große, prächtig und wohnlich zugleich eingerichtete Villa. Wow! . Wir setzten uns um den Küchentisch. Es gab Bier und Leberwurst und Käse und selbst gebackenes dunkles Brot. Und am Ende ein Glas costa-ricanischen Rum, der so lecker schmeckt wie guter Cognac….

Die Nacht war schrecklich. Jetlag. Kein Auge zugemacht. Ich wartete nur auf den Morgen.

Nach einem opulenten Frühstück dann Aufbruch zu Kirche und Pfarrhaus. Ich bin gespannt. Hier treffen wir auf eine andere Kirchenvorsteherin und auf Frau Storjohann. Wir kannten uns ja nun schon. Zwar führt nicht weit von Kirche und Pfarrhaus eine größere Strasse mit viel Verkehr und zwar liegt gleich hinter dieser Strasse ein großes Kaufhaus, aber Kirche und Pfarrhaus befinden sich in einem noblen Viertel. Mit einem kurzen Fußweg erreicht man die das deutsche Humboldt-Gymnasium und nicht weit davon die US Botschaft. Dort in der Nähe haben wir erstmal zusammen in einem sehr schönen Restaurant gegessen. Auf einer großen, nur von Bäumen „überdachten“ Terrasse. Typisch costa-ricanisch.

Das Pfarrhaus passt durchaus in dieses Viertel. Verschlossene Gittertore. Überdachter Eingang – wo der Dienstwagen des Pfarrers parkt…. Eingangsbereich mit großer, gut ausgestatteter Küche. Unmittelbar hinter der Küche eine Speisekammer und noch weiter dahinter eine große Waschküche mit Waschmaschine und Waschstelle.

Separater Essbereich, verbunden mit einer Durchreiche. Arbeitszimmer des Pfarrers: Dienst-Laptop, Drucker, Fax, Aktenschränke, drei leere Bücherregale. Daneben ein Wohnzimmer mit großem Flachbild TV. Vom Essbereich geht es auf einen kleinen Innenhof, dessen eine Seite durch den kirchlichen Kindergarten und auf der anderen Seite durch die Kirche begrenzt ist. Ein schöner, großer Raum mit Holzbänken. Neuere bunte Glasfenster. Ein Raum mit guter Atmosphäre. Hier finden die Sonntags-Gottesdienste statt – manchmal vormittags und manchmal abends. Kaum zu glauben, dass dies einmal eine Werkhalle war, in der Ledertaschen hergestellt wurden.

Mit dem Kindergarten verbunden ein Gemeinderaum, der für verschiedene Veranstaltungen und von unterschiedlichen Gruppen genutzt wird. Hier finden auch die Kirchenvorstands-Sitzungen statt. Auch dieser Raum strahlt eine gute Atmosphäre aus. Vom Eingangsbereich führt eine schöne Holztreppe in den Schlafzimmerbereich: 2 große Schlafzimmer mit Bad und zwei kleine Schlafzimmer. Von allen Schlafzimmer gibt es einen Zugang zu einem großen, langgestreckten Balkon mit Blick in den Innenhof und auf die Bäume und Pflanzen und Blumen.

Noch sind die Maler im Haus. Wahrscheinlich sind sie übermorgen fertig. Die Verwalterin und Haushaltshilfe, Aracelli ist ein Frau um die vierzig, die einen sehr herzlichen Eindruck auf mich macht. Sie ist von 9 – 15 Uhr im Haus. Morgens wird sie mein Frühstrück machen und mittags eine warme Mahlzeit für mich kochen. Und sie wird meine Wäsche waschen. Heute Nachmittag habe ichin dem großen Kaufhaus in unmittelbarer Nachbarschaft schon reichlich Lebensmittel eingekauft. Das geht auf meine Rechnung. Alles stellt die Gemeinde zur Verfügung – inklusive meiner Flüge natürlich.

Seitdem Aracelli und die Maler das Haus verlassen haben, bin ich alleine hier. Seit um 16 Uhr geht hier ein heftiger Regen mit lautem Gewitter und Blitzeinschlägen in der Nähe nieder. Das bringt etwas frische Luft. Tagsüber war es sehr heiß und sehr schwül.

Jetzt werde ich gleich mein Abendbrot zubereiten und mich dann ein wenig vor die Glotze hocken. Alles großzügig, praktisch-funktional und gemütlich. Und die Menschen, denen ich bisher begegnet bin sind sehr freundlich und herzlich. Aber irgendwie fühle ich mich hier doch allein und bis es ja auch.

P.S. Morgen probiere ich das Auto aus und schaue mir mal die Stadt und die Umgebung an. Ein schwarzer KIA – aber nicht wie mein kleines grünes Froschmodell, sondern ein richtig grosser Schlitten mit Extra-Kofferraum hinten dran gebaut. Sieht sehr amerikanisch aus. Ich nehm das mal in Kauf….

San José, Montag, 29. Mai 2017

Viele Grüsse, Kurt Jürgen

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