Fünfter Brief aus Costa Rica – Begegnungen

Liebe Freunde,

heute morgen war ich im nahe gelegenen Auto Mercado (Supermarkt) , um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Vor mir schob ein altes Ehepaar seinen Einkaufswagen. Er mit einer Kipa auf dem Kopf. Es gibt hier in der Nachbarschaft eine Syanagoge, die ich gerne besuchen möchte. Deshalb spreche ich das Ehepaar an. Sie verstehen jedoch kaum Englisch. Ich frage, ob sie Deutsch sprechen. Aus der Antwort höre ich, dass sie Jiddisch sprechen…. Und dann haben wir  – jeder mit dem Einkaufswagen in der Hand – Jiddisch – Deutsch miteinander kommuniziert. Und das ohne große Schwierigkeit! Seine Familie kommt aus Galizien. Aus der Nähe von Lwow/Lemberg. (Schon lange plane ich ja eine Reise durch die West-Ukraine:  „Auf den Spuren des osteuropäischen Judentums“….).  Der Vater seines Vaters ist in Auschwitz umgebracht worden. Der Vater seiner Mutter von Stalin nach Sibirien verschleppt worden und dort im Lager umgekommen. ja, natürlich könne ich gerne ihre Synagoge besuche. Und dann hält er einen der Verkäufer an und fragt nach Zettel und Kugelschreiber. Der reagiert sehr freundlich und gibt beides und wartet geduldig bis der alte Mann mit der umständlichen Suche nach der Telefonnummer des Rabbiners fertig ist und sie mir aushändigt. Masel tow! Und:  Schalom! Was für eine Begegnung. Ich habe Tränen in den Augen.

Gerade komme ich zurück von einem Besuch bei der einheimischen lutherischen Kirche (ILCO). Ich hatte den Präsidenten der Kirche, Gilberto Quesada auf einer Konferenz bei Brot- für- die- Welt getroffen, und er hatte mich eingeladen. Heute Vormittag hat er mich abgeholt (mein Dienstwagen ist ja noch in Reparatur). Ein kleiner, agiler, sympathischer Mensch Ende fünfzig. Er spricht keine Sprachen außer Spanisch. Also haben wir uns auf Spanisch unterhalten. Das übt am meisten! Er hat mich gefragt, welche Sprachen ich spreche. Und ich habe geantwortet, dass ich z.B.  Schwedisch spreche.

Als wir kurz davor sind, auf das Grundstück des Kirchenzentrums zu fahren, winkt der Präsident aus dem Auto heraus einem vorbeigehenden Menschen zu. Wie sich herausstellt, ist es einer der kirchlichen Mitarbeiter, der auf dem Weg zur Lunch-Pause ist. Der Präsident bedeutet dem Mitarbeiter, dass er mit mir Schwedisch sprechen könne. Und das  tun wir auch. Ich bin verblüfft, wie hervorragend dieser Tico (Selbstbezeichnung der Costaricaner) Schwedisch spricht und erfahre von ihm, dass er mehrere Jahre in Schweden gelebt hat….

Aber davor ist noch dies passiert: Bevor wir am Kirchenzentrum eintreffen, haben wir einen der ärmsten Stadtteile von San José besucht. mit hohem Anteil an Kriminalität, Drogenhandel und Prostitution. Hier war der Präsident viele Jahre als Pastor tätig, bevor er vor zwei Jahren zum Präsidenten seiner Kirche gewählt wurde. Wir haben einen Gemeinde-Kindergarten besucht, in dem eine Jugendliche, Berit  aus Deutschland  arbeitet. Die ILCO bietet für die „Internationalen Evangelischen Freiwilligendienste (IEF)“ Einsatzplätze an. Die Jugendlichen bekommen die Möglichkeit, für ein Jahr in der Kiundertagesstätte „casa abierta (offenes Haus)“  mitzuarbeiten, Die Kinder in der casa abiertawaren natürlich hinreißend….

Das Kirchenzentrum ist ein für mich überraschend großer Gebäudekomplex. Alles eben-erdig. In der Mitte ein großer offener Raum mit erhöhtem Betonsockel: Der Ort, wo die Gottesdienste bei besonderen Anlässen und vielen Besuchern stattfinden. Ansonsten gibt es einen kleinen, geschlossenen  Gottesdienstraum, verschiedene Gruppen- und Besprechungsräume und mehrere Büros der MitarbeiterInnen. Für Jugend und Frauen, für Gerechtigkeit in der indigenen Bevölkerung, Für diakonisch-seelsorgliche Betreuung vom Migranten (vor allem aus Nicaragua) u.a. sowie Büros für Verwaltung und Finanzen. Der Präsident  wird vom Pfarrkonvent für (nur) drei Jahre gewählt – mit der Möglichkeit der Wiederwahl für nochmals drei Jahre.

Die Iglesia Lutherana Costarricense (ILCO)  besteht aus 15 Gemeinden:: 4 in San José, 5 indigene Gemeinden an abgelegenen Orten und 6 Gemeinden verstreut in den verschiedenen Provinzen.Die ILCO  versteht sich als „diakonische Kirche“. Sie engagiert sich vor allem für die Rechte der indigenen Bevölkerung (Wiedererlangung von Territorien, Hilfe für eine nachhaltige Landwirtschaft und Unterstützung bei der Bemühung um Autonomie). Die ILCO unterstützt Frauenprojekte (Teilhabe von Frauen an Selbstverwaltung, Produktion und Vermarktung). Die ILCO setzt sich ein für die Rechte (Legalisierung des Aufenthalts) von Immigranten (vor allem aus Nicaragua), für Landlose, verarmte Plantagenarbeiter und für andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Die Stadtgemeinden in San José setzen sich ein für Frauenrechte und Gesundheitsvorsorge und helfen Jugendlichen bei Problemen mit Drogensucht, Prostitution, (Beschaffungs)Kriminalität und Arbeitslosigkeit.

Die ILCO setzt sich ein für Kinderrechte und unterhält – in Zusammenarbeit mit dem „Institut für Bildung und Entgwicklung (OIKOS)“ das Projekt „Futbol por la Vida“ in dem Provinzstädtchen Sarapiqui. Dreimal in der Woche bekommen 120 Jungen und 30 Mädchen ein Fußballtraining. „Nebenbei“ soll auf spielerische Weise etwas gelernt werden über Fairness, Regeln, Gerechtigkeit, Rücksicht, Zusammenspiel u.a.m.) In San José beteiligt sich die Deutsche Kirche und die (deutsch-sprachige) Humboldtschule an diesem Projekt.

Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Bayern und die „Mission Eine Welt“ unterstützen unterschiedliche soziale Projekte. Außerdem kommt es regelmäßig zu gegenseitigen Besuchen von Partnerschaftsgruppen in Bayern und einzelnen Gemeinden der ILCO. Die ILCO hat 7 Pastoren/Pastorinnen und zur Zeit 2  deutsche missionarische Mitarbeiter. Außerdem hat die bayrische Landeskirche einen Mitarbeiter an die Universidad Biblica Latinoamericana  entsendet. (Hier werden die künftigen Pastoren der lutherischen Kirchen in Mittelamerika ausgebildet). Dieser Mitarbeiter ist der Ehemann der künftigen Pastorin der deutschen Kirche in San José, die am 1. August ihren Dienst antritt, wenn ich meine Vakanz-Vertretung beendet habe.

Ich habe bei meinem Besuch im Kirchenzentrum der ILCO eine Pastorin getroffen, die zuständig ist für die indigenen Gemeinden. In der nächsten Woche will sie mich zu einem Besuch der indigenen Gemeinden mitnehmen. Mit Begleiter, der übersetzen kann und in einem Auto mit Allradantrieb. Mit normalem PKW sind diese Gemeinden nicht erreichbar…. Bin total gespannt!

Wir sind dann zusammen essen gegangen: Gilberto, der Präsident, Berit, die Freiwillige aus Deutschland  und ein junger Tico-Mitarbeiter, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist. Ich habe das Gespräch auf mögliche Kooperatioenn und gemeinsame Projekte zwischen der deutsch-sprachigen lutherischen Kirche und der ILCO gebracht. Dabei kam es sehr schnell zu der Projekt-Idee, gemeinsam (mit Brot-für-die Welt) ein Bildungs-Projekt in den indigenen Gemeinden zu machen…. (Zwischendurch vergaß ich ganz, dass ich in fünf Wochen doch schon wieder weg bin…).

Nach dem Lunch haben wir die beiden jungen Leute im Stadtzentrum abgesetzt. Auf dem Weg dahin habe ich irgendwie erwähnt, dass ich Psychodrama mache. Berit aus Deutschland sagte, dass ihr Vater in Ostfriesland  Pastor sei und auch Psychodrama gelernt habe. Und morgen würden ihre Eltern sie besuchen kommen. Zwischendurch hatte sie offenbar ihrem Vater eine Whatsapp geschrieben und er hatte geantwortet: Kurt Jürgen Schmidt kenne ich, bei ihm habe ich vor vielen Jahren zwei Psychodrama-Seminare gemacht….

Alles in allem ein Tag mit wunderbaren Begegnungen. Und die Welt ist so klein. Man muss nur auf einander zugehen, dann kann sich ganz Wunderbares ereignen…

Viele Grüsse,
Kurt Jürgen

 

 

 

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