Bericht vom Kurs „Seelsorglicher Umgang mit psychisch erkrankten Menschen“
in Sarepta b. Wolgograd und einer Reise nach Astrachan und Kalmyckien.
Wieder einmal Russland und wieder einmal Wolgograd. Genauer: Sarepta. Hier in der 1765 gegründeten Anlage der Herrnhuter Brüdergemeinde fand der Kurs statt. Wieder unter der Leitung von Dr. Anna Christ-Friedrich und mir. Dieses Mal waren es ganz überwiegend Gemeindeglieder aus verschiedenen Gemeinden der Region, die teilnahmen. Eine Pastorin aus Astrachan und ein Pastor von der Krim nahmen teil. Am Ende des einwöchigen Kurses haben alle Teilnehmenden im Rahmen eines Abschluss-Gottesdienstes ihre Zertifikate überreicht bekommen.
Der Kurs war kompakt und intensiv. Eine Anstrengung und Herausforderung für Teilnehmende und Leitung. Aber ein ausgesprochen erfolgreiches und zufriedenstellendes Unternehmen.
Als Beispiel für die Art unseres Arbeitens im Kurs dieses Gedächtnisprotokoll eines Seelsorge.Gespräches, das eine Teilnehmerin geführt hat.
Verbatim T.
Nach dem Gottesdienst kam eine Frau (A.) aus unserer Gemeinde auf mich zu und fragte, ob ich Zeit hätte, mit ihr zu sprechen, sie brauche meine Hilfe. Ich sagte, dass ich Zeit hätte. Wir sind dann in ein Zimmer gegangen, in dem wir ungestört sprechen konnten. Ich kenne A. schon längere Zeit. Wir sprechen einander mit Vornamen und Sie an. Was ich von A. schon vorher wusste: A. ist 83 Jahre alt. Sie ist immer regelmäßig in den Gottesdienst gekommen. Meistens in Begleitung hres Sohnes (Alex, 55 Jahre alt) und seiner Frau. Sie leben in der Nähe von A. Frau A. lebt allein. A. hat bis vor einiger Zeit immer aktiv am Gemeindeleben teilgenommen, aber jetzt hat sich ihre Gesundheit verschlechtert. Sie hat Probleme mit dem Herzen, sagt sie. Sie kommt nur noch selten in die Kirche. Ihr Sohn und seine Familie sorgen für Amalia. Sie besuchen A. regelmäßig, bringen ihr Lebensmittel und helfen auf jede Weise.
Ich (1). Ich weiß, dass Sie kürzlich krank waren und sogar im Krankenhaus lagen. Wie fühlen Sie sich jetzt? Womit kann ich helfen?
A (1). Ja, mir ging es sehr schlecht. Ich lag mal im Krankenhaus, mal war ich wieder zu Hause. Rein und raus. Ständig wurde der Krankenwagen gerufen. Ich habe mich viel untersuchen lassen und dafür einen Haufen Geld ausgegeben. Aber die Ärzte finden bei mir nichts Ernsthaftes, sagen sie. Und sie sagen, dass alle Veränderungen dem Alter entsprechen. Aber es geht mir häufig sehr schlecht: der Blutdruck ist mal zu hoch und dann sofort zu niedrig. Und in einem solchem Augenblick scheint es mir, dass meine Gefäße gleich platzen und ich sterbe. Und jetzt ist ja niemand mehr bei mir…
Ich (2). Was Sie durchmachen, ist sehr schwer für Sie. Es geht Ihnen einfach schlecht. Aber ich verstehe nicht, wenn Sie sagen, Sie seien allein. Sie haben doch Ihren Sohn und seine Familie….
A (2). Genau wegen ihm bin ich gekommen, ich bin so gekränkt und ärgerlich auf ihn, dass ich gar nicht weiß, was ich damit machen soll und wie ich damit leben kann. Sobald ich an ihn denke, beginnt gleich ein Anfall. Ich möchte ihm gar nicht mehr begegnen, weil er mich so gekränkt hat.
Ich (3) Kränkung ist ein ganz und gar furchtbares Gefühl. Es bringt Schmerzen und Bitterkeit ins Herz und hat die Eigenschaft, sich auszuweiten.
A (3). Sich ausweiten! Ja, genau das ist es, was ich auch fühle. Das Ganze hat vor langer Zeit angefangen. Ich habe einen Bruder (Wladimir, 77 Jahre), er war in unserer Familie der Jüngste, und Mama hat ihn von Kindheit an immer geschont und behütet. Und sogar als sie im Sterben lag hat unsere Mutter meinen älteren Bruder und mich angewiesen, für unseren jüngeren Bruder immer zu sorgen und ihm zu helfen. Mein älterer Bruder ist längst gestorben, und ich sorge nun schon seit mehreren Jahre allein für meinen kleinen Bruder.
Wolodja war in seiner Jugend sehr gut aussehend und ausgesprochen gutmütig. Aber dann hat der Alkohol ihn verdorben. Er ist sozusagen ein großer Freund vom Trinken. Er hatte eine Frau und zwei Kinder. Aber wegen seiner Vorliebe für das Trinken hat seine Frau sich von ihm scheiden lassen, da sie seine Trinktouren und Ehebrüche nicht länger erdulden konnte und wollte. Jetzt hat auch eine seiner zwei Töchter keinen Kontakt mehr mit ihm.
Wolodja lebt in meiner Nähe in einer eigenen Wohnung. Obwohl – was für ein Eigentum ist das jetzt noch für ihn? Eine seiner Töchter kann es gar nicht erwarten, dass er stirbt, weil sie die Wohnung schon lange auf sich hat umschreiben lassen . Walodja hat nur noch Wohnrecht dort.
(An dieser Stelle verstummt A., senkt den Blick und beginnt zu weinen. Ich berührte ihre Hand und gebe ihr ein Taschentuch. Einige Zeit weint sie noch, dann sage ich leise zu ihr:)
Ich(4) Ja, A., das, was Sie mir jetzt erzählen, ist sehr schwer für Sie. Unsere eigenen Verwandten sind es oft, die uns Probleme machen. Und jeder hat seinen eigenen Charakter….
A. 4 (sieht mich mit ihren himmelblauen, müden Augen an). Ja, und mein Sohn hat auch seinen eigenen Charakter. Einen problematischen Charakter. Das sehe ich an seiner Einstellung zu seinem Onkel Walodja. Mein Bruder Wolodja ist natürlich im Leben ungeraten, aber ich habe ihm auf jede Weise geholfen, solange ich die Kräfte hatte. Er hatte kürzlich einen Schlaganfall, und jetzt kann er kaum gehen, aber eine Gesellschaft aus kleinen Säuferinnen lässt er immer herein. Es kommen ein, zwei dieser Frauen – jung im Vergleich zu ihm – machen den Dummkopf betrunken, stehlen ihm Geld aus seiner kleinen Rente – und laufen weg. Mal stehlen sie das Handy, mal etwas anderes.
Ich habe früher die Polizei gerufen, und die eine Säuferin hat wegen des Diebstahls seines Handys einmal ein halbes Jahr im Gefängnis gesessen, aber dann begann er wieder sie herzubringen, er sagt, er brauche sie, mit diesen Frauen ginge es ihm gut. Der alte Dummkopf!
Ich(5) A, habe ich Sie richtig verstanden, dass sie am Anfang gesagt haben, Ihr Sohn hätte einen problematischen Charakter?!
A (5) Ja, einen sehr problematischen Charakter. Wegen Wolodja habe ich mich mit meinem Sohn zerstritten. Ich war nämlich ganz bettlägerig geworden und bat meinen Sohn, zu Wolodja zu gehen, um Lebensmittel zu kaufen und sie ihm zu bringen. Aich ein bisschen seine Wohnung zu putzen. Er ist doch sein Onkel. Geld gibt mir Wolodja nicht, da diese kleinen Säuferinnen immer das Geld von seiner Rente stehlen.
Also habe ich meinem Sohn etwas Geld zugesteckt und zu ihm gesagt: Geh nach der Arbeit wenigstens für ein paar Minuten am Tag zu Walodja hin. Wenn du die Säuferinnen siehst, jage sie weg. Und wenn es nötig ist, koche ihm etwas zu essen, denn er kann es ja selber nicht. Also, mein Sohn ging einige Tage lang hin, und dann erklärte er mir, es fiele ihm schwer, zu ihm zu gehen. Er werde das nicht weiter tun. Man müsse ihn in ein Altenheim geben.
Ich (6) Sie haben auf diese Aussage Ihres Sohnes gekränkt und zornig reagiert?
A (6) Natürlich! Das ist also mein Sohn! In der Zeit, als es mir gesundheitlich schlecht geht bitte ich ihn, sich um Walodja zu kümmern. Aber was tut er? Er verweigert sich! Als er mir das mitteilte, wurde ich unmittelbar durch einen neuen Anfall von Bluthochdruck wieder ganz krank und bettlägerig. So einen Sohn habe ich also aufgezogen! Für wen habe ich bei der Geburt so viel ausgehalten! Alles habe ich nur für ihn getan, Und so vergilt er es mir im Leben. Ich möchte keine Gemeinschaft mehr mit ihm haben. Ich bin in der Seele gekränkt von seinen Worten! Wer soll denn jetzt für Wolodja sorgen?
Ich (7) Amalia, aber ist es nicht so, dass Ihr Sohn immer gut für Sie gesorgt hat? Sie regelmäßig besucht hat, wenn es Ihnen schlecht ging und Sie immer zum Gottesdienst begleitet hat?
A (7) Ja, das stimmt. Wenn es mir schlecht ging, rief ich ihn an und er fuhr natürlich zu mir. Mal er, mal meine Schwiegertochter. Sie übernachteten oft bei mir. Mal riefen sie den Krankenwagen, mal kochten sie. Natürlich hat er mir geholfen. Ich bin ja schließlich seine Mutter und habe so viel im Leben für ihn getan.
Ich (8) Amalia, was meinen Sie: Warum will Ihr Sohn seinen Onkel in einen Altenheim geben? Warum fällt es ihm schwer,zu ihm zu gehen? Können Sie denn nicht die Gefühle Ihres Sohnes verstehen? Natürlich sind Sie für ihn die Mutter. Natürlich haben sie viel für ihn getan. Mein Eindruck ist auch, dass er Sie liebt und schätzt und für Sie sorgt. Sie betreut, wenn es Ihnen schlecht geht. Vielleicht ist für ihn der Lebensstil seines Onkels nicht länger akzeptabel! Es fällt ihm schwer, immer wieder seinen Onkel zu besuchen und alles hinzunehmen.
(A. sieht mir direkt in die Augen. Die Pause zieht sich in die Länge. A. Denkt über etwas nach.)
A (8) Ich habe nie vorher darüber nachgedacht. Ich begreife nur, dass das Gefühl der Kränkung sehr schlecht für mich ist und sich auf meine Gesundheit auswirkt. Womöglich ist es eine Sünde, so gekränkt zu reagieren? Über das Verhalten des eigenen Sohnes! Ich bin zu Ihnen in die Kirche gekommen, um dafür zu beten, dass Gott mir hilft, mit dieser Situation zurechtzukommen.
Ich (9) Wenn Sie wollen, können wir jetzt gleich beten und Gott bitten, Ihnen zu helfen, sich in Ihren Gefühlen zurechtzufinden. Denn es fällt Ihnen schwer, mit der Kränkung im Herzen zu leben. Das macht Sie auf Dauer krank, und das spüren Sie.
Unser Gespräch endete mit einem Gebet.
Auszüge aus der Arbeit an diesem Gespräch:
Die Seelsorgerin T. führt ein Gespräch mit der 83 Jahre alten Frau A. , die sie als Gemeindeglied und regelmäßige Gottesdienstbesucherin schon seit längerem kennt. Sie führt das Gespräch respektvoll und einfühlsam. In diesem Gesprächsbeispiel wird ein wichtiges Thema in der gegenwärtigen russischen Gesellschaft sichtbar: nämlich die Rolle der alten Babuschkas. Sie sind für viele junge Familien unverzichtbar im Hinblick auf die Betreuung der Enkelkinder. Aber es wohnen auch viele Kinder – oft auch noch nach der Heirat – bei den Eltern. Das heißt meistens: bei den Müttern. In den großen Städten ist es sehr schwer für eine junge Familie eine eigene Wohnung zu finden. So rückt man zusammen – mit allen zwischenmenschlichen Problemen die dies mit sich bringt.
Erwachsene Kinder und junge Familien bleiben dadurch über lange Zeit abhängig von den Eltern, die Wohnungs-Eigentümer sind. Manchmal, wie im Falle von Walodja werden die Kinder schon als Eigentümer registriert und die Eltern behalten nur das Wohnrecht. Die Bedeutung, aber auch die Macht der Mütter ist oft groß. Sie erwarten von ihren Kindern Dankbarkeit und konkrete Hilfe im Alter. Da staatliche soziale Hilfen nur unzureichend vorhanden sind, müssen die erwachsenen Kinder oft die Versorgung ihrer alten Eltern leisten.
In diesem Gespräch geht es auch um das Thema Alkoholabhängigkeit. Ein großes Thema in der Gesellschaft. Von den meisten wird Alkoholmissbrauch nicht als Krankheit verstanden, sondern als „normal“ und jedenfalls als individuelles Problem. Oft stehen Ehefrauen und Kinder hilflos da gegenüber dem Problem und agieren als „Co-Abhängige“ mit.
Dies tut auch Frau A. Gegenüber ihrem „kleinen Bruder“, der auch im hohen Alter keine eigene Verantwortung für sein Leben übernehmen will und wohl auch nicht (mehr) kann. Der Sohn von Frau A. erweist sich – anders als seine co-abhängige Mutter – als klar und verantwortungsvoll. Gleichzeitig erfüllt er seine „Sohnes-Pflichten“.
In welchem Maß Frau A. In die Sucht ihres Bruders mit verwickelt ist, zeigt sich in diesem Gespräch sehr eindrucksvoll. Aus Enttäuschung und Kränkung – wendet sie sich von ihrem Sohn ab und riskiert, dass er dies auch seinerseits tut. Am Ende des Gespräches gelingt es der Seelsorgerin, Frau A. zum Nachdenken über ihr Handeln zu bringen. Eine tiefer gehende seelsorgliche Arbeit mit Frau A., insbesondere der Blick auf ihre Kindheit wäre angesichts ihres hohen Alters gar nicht angemessen.
Arbeitstreffen der Kursleiter und -Leiterinnen
Am Tag darauf gab es ein Treffen der der aktuellen und zukünftigen KurleiterInnen und derjenigen, die mit der Organisation von Seelsorgekursen in Russland befasst sind. Wir haben sechst Stunden intensiv und gut miteinander gearbeitet und beschlossen, dass die Kurse künftig verkürzt angeboten werden: statt bisher in dreimal 10 Tagen jetzt nur noch in dreimal 5 Tagen. Wurde die Vergleichbarkeit mit einem herkömmlichen sechswöchigen Seelsorgekurs im Rahmen der Klinischen Seelsorgeausbildung in Deutschland aufgegeben. Für die russische Situation ist diese Vergleichbarkeit jedoch nicht unbedingt nötig. Vielmehr geht es darum, durch die zeitliche Verkürzung das Angebot an den realen Gegebenheit der lutherischen Gemeinden in Russland auszurichten.
Für den nächsten zeitlich in drei Blöcke aufgeteilten „Langzeitkurs“ (dreimal 5 Tage) haben wir wieder Sarepta als Ort festgelegt. Die Kursleitung wird in den ersten beiden Blöcken in der Hand von Pastorin Aljona Hofmann und mir liegen. Aljona Hofmann ist zur Zeit Pastorin in der Deutschen Botschaftsgemeinde in Moskau. Sie hat ihre Seelsorgeausbildung abgeschlossen und auch ihre Ausbildung zur Supervisorin (Deutsche Gesellschaft für Pastoralpsychologie, DGfP). Den dritten Kursblock werden wieder Anna und ich leiten.
Außerdem soll es wieder zwei einwöchige Kurse zu speziellen Themen geben. Zum einen einen Kurs in 2021 mit dem Thema „Bedeutung von Individuum und System“ – ebenfalls unter der Leitung von Anna und mir. Und ebenfalls in 2021 einen Kurs zum Thema „Palliativ-Seelsorge“. Außerdem ist ein weiterer Langzeitkurs in 2022 geplant. Ich will dem lieben Gott nicht vorgreifen, aber ich gehe davon aus, dass spätestens dann auch meine Zeit für Kursleitung in der russischen Kirche zu Ende sein wird. Dann hätte ich über zwölf Jahre Seelsorgekurse in der Lutherischen Kirche in Russland angeboten und wäre dort in jedem dieser Jahre an verschiedenen Orten (Omsk, Krasnojarsk, St. Petersburg und Wolgograd) in Sachen Seelsorgeausbildung tätig gewesen. Ich hoffe natürlich, dass ich Anstöße gegeben habe für eine eigenständige Entwicklung der Seelsorgeausbildung in der Russischen Lutherischen Kirche.
Auf der Ebene der Kirchenleitungen in Moskau (ELKER) und Omsk (ELKUSFO) hat es leider bisher kaum Unterstützung gegeben. Seelsorge ist einfach nicht spektakulär genug. Aber so war es über lange Zeit auch in den Kirchen bei uns.
Seelsorgeverein und Seelsorgeausbildung in der Russischen Lutherische Kirche
Vor zwei Jahren haben KursteilnehmerInnen einen Seelsorgeverein in der Evanglisch Luthrischen Kirche im Europäischen Russland (ELKER) gegründet. Es gibt einen gewählten Vorstand, eine Vereins-Satzung und eine Beschreibung der Ausbildungs-Standards. Aber der Enthusiasmus über die Wirksamkeit einer solchen von der Basis her organisierten Initiative hält sich in Grenzen. Wie mein amerikanischer Freund und Kollegen, der seit vielen Jahren in der Lutherischen Kirche in Russland tätig ist, mit einer Russin verheiratet ist, fließend Russisch spricht und sowohl als Superintendent wie auch als Weiterbildner in der Kirche tätig ist habe auch ich den Eindruck, dass Basisinitiativen in der russischen Gesellschaft und auch in der Lutherischen Kirche selten vorkommen und wenig Unterstützung finden.
Noch immer scheint das Gift eines autoritären Staates in der Gesellschaft und bei einzelnen Menschen zu wirken. Lieber sich bedeckt halten und bei Gefahr den Kopf einziehen als zuversichtlich gemeinsam die eigene Sache voranzutreiben.
Der Bericht eines Kursteilnehmers über seine Kirchenleitung hat mich besonders erschüttert, weil ich ihn seit langem kenne und schätze. Dieser Teilnehmer ist nach einer Tumor-Operation halbseitig gelähmt. Er gilt als schwerbehindert (Kategorie I). Die staatliche Gesetzgebung sieht für Menschen mit dieser Form der Behinderung keine steuer-wirksame Tätigkeit aufgenommen werden kann und darf. Also auch nicht in der Kirche als Arbeitgeber.
Dieser junge Pastor ist erst 37 Jahre alt und möchte sich – nach erfolgreichen Reha-Maßnahmen, aber bei bestehender Halbseitenlähmung – gerne weiter als Pastor arbeiten. Und das tut er auch. In der Gemeinde, die er aufgebaut hat. Der Neubau einer Kirche ist fast abgeschlossen. Die Menschen in der Gemeinde schätzen und lieben ihn. Es hat für sie keine Bedeutung, ob ihr Pastor offiziell gar nicht tätig sein kann. Er macht es eben ehrenamtlich, wie sie selbst auch.
Für seinen Lebensunterhalt bietet er Kurse an der örtlichen Universität an und hat andere Tätigkeiten auf Honorarbasis aufgenommen. Von einem Unterstützungskreis aus Deutschland bekommt dieser junge Pastor eine monatliche Unterstützung, die für den Lebensunterhalt zwar nicht ausreicht, aber wichtig ist. Aus für mich nachvollziehbaren Gründen hat er nach langem Zögern jetzt die Scheidung eingereicht. Daraufhin hat die Kirchenleitung ihm gedroht, die Rechte aus seiner Ordination zu entziehen.
Wo enge Moralvorstellungen und autoritäres Leitungsverhalten das menschliche Miteinander im Sinne des Evangeliums konterkariert, ist Einhalt geboten. Die Frage ist nur: von wem? An diesem Beispiel wird für mich deutlich, dass die Lutherische Kirche in Russland nicht nur die Seelsorgeausbildung stärker unterstützen, sondern insgesamt seelsorglicher werden muss.
Manche sagen, dass die Lutherische Kirchenleitung in Russland in der Anfangszeit (seit 1991)im Vergleich zu den einzelnen Gemeinden als eher schwach wahrgenommen wurde, sich dies aber gerade umkehrt. Die Kirchenleitung scheint auch dort und manchmal gerade dort durchsetzungsstark aufzutreten, wo einzelne Gemeinden und ihre Pastoren sich als besonders kreativ und eigenverantwortlich erweisen.
Dies zeigt sich für mich am Beispiel der lutherische Kirche auf der Krim. Ein heißes Thema. Weil es letztlich um die Frage geht, wie sehr Kirche sich mit politischen Interessen verbündet bzw, wie sie sich von politischen Interessen fernhalten kann und sollte. Die lutherischen Gemeinden auf der Krim sind – genau so wie die Bevölkerung – gespalten im Hinblick auf das Zugehörigkeitsgefühl zur Ukraine oder zu Russland.
Nach der Annexion der Krim ( völkerrechtlich gesehen) durch Russland hat die Kirchenleitung in Moskau beschlossen, einen ihrer Pastoren für die Gemeinden auf der Krim einzusetzen, um die Menschen kirchlich zu versorgen und Versöhnung herbeizuführen. Das ist jedoch eine nicht lösbare Aufgabe. Die Gemeinden und die Einzelnen in den Gemeinden sind gespalten, hin und her gerissen, verunsichert und inzwischen weitgehend resigniert. In einer von vielen als hoffnungslos wahrgenommenen kirchlichen und gesellschaftlichen Situation gibt es deutlich erkennbare Auflösungserscheinungen. In dieser Situation gibt es für den von Moskau entsandten Pastor die Anweisung, so gut es geht für eine Beruhigung der Lage zu sorgen.
Erstaunlicherweise gibt es mitten in dieser entmutigenden Situation verschiedene Eigeninitiativen in einzelnen Gemeinden mit dem Ziel, die Gemeinde zu entwickeln und Zukunftsperspektiven für sie zu ermöglichen. Von der Kirchenleitung ist man enttäuscht, weil man von dort aufbauende und richtungweisende Hilfen und Entscheidungen vermisst. Eigeninitiativen sind aber aus Sicht der Kirchenleitung nicht erwünscht. Deshalb wurde dem Pastor die Weisung gegeben, nur das zu tun, was die Kirchenleitung angeordnet hat. Das fördert natürlich die Frustration und Resignation sowohl der Gemeinden wie auch des Pastors.
Auf der Krim scheint in vielen Bereichen Stillstand und Perspektivlosigkeit zu herrschen. Faktisch geht es den Menschen auf der Krim in vieler Hinsicht schlechter als vor der Annexion. Das sind alarmierende Anzeichen und das Bedrohliche der Situation wird von vielen gespürt.
Astrachan
Am Tag nach dem Kursleiter-Treffen, einem Sonntag bin ich dann gemeinsam mit Vera, einer Kursteilnehmerin mit dem Bus von Wolgograd nach Astrachan gefahren. Acht Stunden in einem voll besetzten Kleinbus mit nur zwei zehnminütigen Pausen! Auf einer endlosen scheinenden Landstraße durch endlos scheinende Weite der Landschaft. Auf der Horizontlinie ein etwas größerer Gegenstand. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich eine Lokomotive. Abgestellt im Irgendwo.
Gerädert und erschöpft kommen Vera und ich spät abends am Bahnhof in Astrachan an. Vera hatte ein Taxi für uns telefonisch vorbestellt. Das wartet schon auf uns. Erkennungsmerkmal ist die Farbe, Automarke und die letzten Ziffern des Nummernschildes. Endlich lande ich meinem Hotelzimmer und falle ins Bett.
Am nächsten Morgen die Begegnung mit der Rezeptionist. Noch einmal erlebe ich den fast schon vergessenen, spröden Charme des Sozialismus. In Restaurants in der DDR hatte ich oft das Gefühl, das ich nicht Gast, sondern Störenfried bin. Um so abweisend und kunden-feindlich sein zu können, muss man wahrscheinlich in dritter Generation selbst erlebt haben. Nicht einmal mein berühmtes charmantes Lächeln hat da geholfen. Eisenträger lächeln auch nicht zurück. Aber das Zimmer war bestens in Ordnung – karascho eben.
Wie offenbar in vielen Privatwohnungen und Hotels muss man morgens vor dem Duschen etwa zwanzig Minuten das Wasser aus dem Warmwasserhahn laufen lassen, um warmes Wasser zu bekommen. Es geht sozusagen um die Geduld beim Wasserlassen. Einmal habe ich mir die Wartezeit mit einer langen Sitzung auf der Klobrille vertrieben. Ein anderes habe ich mich in der Wartezeit wieder ins Bett gelegt – und prompt verschlafen. Das Duschwasser war inzwischen heiß, aber ich musste ungeduscht in den Kurs eilen.
Das Frühstück gab es in einem kleinen Bistro gleich neben dem Hotel. (Übrigens: das Wort Bistro kommt aus dem Russischen und heißt: schnell!). Hier ist noch echte Malocher-Atmosphäre. Oder eher: Arbeitslosen- Malocher- Atmosphäre. Da werden die letzten Rubel hervorgekramt und zusammengelegt, damit jeder der Kumpel wenigstens einen heißen Tee und kascha bekommt – das traditionelle Müsli. Die Auswahl auf der Frühstückskarte ist wiederum kundenfreundlich: Kascha oder drei Spiegeleier mit Brot. Mit fällt die Auswahl schwer. Ich nehme deshalb beides.
Vera hat mich dann vom Bistro abgeholt in ihrem leicht verrosteten NIVA – Ko-Produktion mit Chevrolet. Ausgerechnet! Der NIVA ist ein 4Wheel-Drive . Ich bin froh, dass die Kupplung bis zum Ende des Tages gehalten hat und uns nicht um die Ohren geflogen ist. Zuerst haben wir eine Buchhandlung besucht – Knigi. Ich wollte einen Reiseführer über Astrachan kaufen. Leider noch nicht gedruckt. Dafür entdecke ich einen interessanten Bildband über die Zeit des Ersten Weltkriegs in der Region Astrachan. Auf einem Foto ist zu sehen, wie eine Kanone von einem Kamel gezogen wird. Irgendwie absurd friedlich.
Nach unserem Besuch in der Buchhandlung habe ich dann auf eigene Faust und ganz ohne Reiseführer den imposanten, mittelalterlichen Kreml der Stadt besichtigt. Ging auch. Astrachan hat zwei Gesichter: ein schönes modernes Zentrum um den Kreml herum und an der Wolga entlang. Und daneben viel Marodes. Unzählige kleine Holzhäuser mit Schnitzereien an Türen, Fenstern und Giebeln sind fast verfallen. Trotzdem wohnen immer noch Familien darin.
Am Endes des Tages zeigt mir Vera ihre Gemeinde. Wir betreten einen größeren Hof. Auf einer Seite des Hofes ein flaches kleines Gebäude mit bunt bemalter Fassade: Kinderhort und Diakoniezentrum mit Alt-Kleiderkammer und Essensausgabe für Bedürftige. An einer anderen Seite ein herunter gekommenes größeres Backstein-Gebäude: die frühere kirchliche Schule. Sie steht seit langem leer. Vor einem Jahr erst hat die Stadtverwaltung das Gebäude der Kirchengemeinde als Eigentum zurückgegeben.
Vera ist darüber sehr glücklich. Sie möchte in diesem Gebäude ein Hospiz einrichten. Das würde allerdings viel Geld kosten, das nur durch ausländische Sponsoren zur Verfügung gestellt werden kann, denn die Gemeinde ist arm und vom Staat ist kein Geld dafür zu erwarten. Ich schlage Vera vor, erst einmal einen Teil des Gebäudes zu sanieren und zu vermieten. Das so beschaffte Geld könnte dann die Kosten für die weitere schrittweise Sanierung decken. Auch dies sei am Ende ein Hospiz, nämlich Unterkunft für Durchreisende und Gäste.
Neben der früheren Schule steht ein großes Gebäude aus Holz. Es iust das alte Pfarrhaus. Es sieht für mich aus wie ein dunkles Spukschloss. Über eine Außentreppe betreten wir das Haus. Ein Gang, von dem mehrere Zimmer abgehen und vor uns ein großer Raum, der schon jetzt für Gottesdienste genutzt wird. Nichts ist bisher saniert oder renoviert worden. Über zwei Etagen gibt es insgesamt zwölf Zimmer sowie den großen Gottesdienstraum.
Dieses frühere Pfarrhaus hat einen eigenen Charme. Ich stelle mir vor, wie schön es aussehen wird, wenn es erst saniert ist. Auch hier könnte man zunächst zwei Wohnungen sanieren und vermieten. Ebenfalls eine Einnahmequelle. Auch hier könnte dann Schritt für Schritt die Sanierung des ganzen Gebäudes erfolgen, in dem es dann verschiedene Gemeinderäume und auch die Wohnung für die Pastorin gäbe. Vera will sich diese Vorgehensweise durch den Kopf gehen lassen. Sie ist nicht so für das Kleinschrittige, sondern eher für den großen Wurf.
Zum Beispiel möchte sie auch das frühere Kirchengebäude zurück haben. Es hat keinen Turm mehr, aber die Apsis im Altarraum ist deutlich erkennbar. Ansonsten ist eine Zwischendecke eingezogen worden. Es wohnen jetzt mehrere Familien in diesem Gebäude, das aussieht wie ein großes Mietshaus. Vera möchte am liebsten die Zeit zurück drehen und die Kirche wieder so herstellen, wie sie vor 130 Jahren ausgesehen hat.
Ich frage Vera, wie viele Gemeindeglieder ihre Gemeinde hat. Sie sagt, dass es zur Zeit etwa 50 Mitglieder sind. Vor ein paar Jahren, als sie hier anfing, seien es nur 35 Mitglieder gewesen. Ich gebe zu Bedenken, dass angesichts dieser geringen Anzahl von Gemeindegliedern, das Pfarrhaus doch ausreichen würde. Aber nein, Vera hofft, dass in ein paar Jahren die Gemeinde einhundert Gemeindeglieder hat. Da wäre es gut, das alte Kirchengebäude zurück zu haben….
Am Ende des Tages haben wir in einem stadtbekannten Fischrestaurant wunderbar gegessen. Hecht ist die Spezialität des Hauses…. Wie vereinbart ist am nächsten Morgen pünktlich das Auto mit Fahrer zur Stelle, um mich durch die kalmyckische Steppe in die Hauptstadt Elista und von dort zurück nach Sarepta zu bringen.
Die Kalymickische Steppe, ein buddhistischer Tempel und Chess-City
Natürlich ist es luxuriös, mit dem Taxi durch die Steppe zu reisen… Aber es war´s mir wert! Für Walodja, meinen Fahrer jedoch war es vermutlich eher frustrierend, mit mir nicht so richtig sprechen zu können, da sein Englisch und mein Russisch ähnlich fortgeschritten sind. So verständigten wir uns vor allem mit „Signalwörtern“ wie z.B. „Kaffeepause“. Auf Russisch: Kaphepausa. Aber was wirklich in Walodja steckt, wurde mir immer dann bewußt , wenn er Gelegenheit hatte mit seinesgleichen zu kommunizieren. Dann war kein Halten mehr. Da wurde geschwätzt und gelacht ohne Ende. Ich weiß nicht, ob die kalmyckischen Gesprächspartner wirklich alles verstanden, was er zu ihnen auf Russisch sagte, aber sie fühlten sich auf jeden Fall sehr angeregt und waren oft begeistert. Davon profitierte natürlich auch ich. Man nahm mir meine Einsilbigkeit nicht übel. Und wenn herauskam, das ich Deutscher bin, dann kommunizierten wir alle gemeinsam auf Deutsch. Jedenfalls habe ich alles verstanden.
Die Steppe hatte ich mir tatsächlich so ähnlich vorgestellt. Flach wie Ostfriesland, aber ohne Nordsee. Aber auch mit Schafen. Von weitem sah man oft nur dunkle Punkte am Horizont bis man beim Näherkommen sah: Schafe. Eine ganze Herde. So süß die gerade geborenen Lämmer. Bei der verzückten Beobachtung der Lämmer habe ich keine einziges Mal daran gedacht, dass ich gerne Lammfleisch esse. Echt nicht. Im Mai blüht die Stimme. Nur deshalb hatte ich ja den Kurs in diese Jahreszeit gelegt. Die Kursteilnehmer wussten davon natürlich nichts.
Nur wenn man sich Zeit nimmt, aus dem Auto aussteigt und zu Fuß ein paar hundert Meter durch die Steppe zu gehen, nimmt man ihre zarte Schönheit wahr. Die verschiedenen Gräser. Die gelben und blauen Wiesenblumen. Die rosa gefärbten Sträucher. Auch die unzähligen Mauselöcher und die am Himmel kreisenden Greifvögel. Das Zwitschern der Lerche. So lange schon war es her, dass ich das Zwitschern einer Lerche beim Aufstieg in den Himmel gehört hatte. Und dann in den kleinen Dörfern der Flieder. Prächtig! Lila und dunkel-lila und weiß. Und der schwere, wunderbar betörende Duft des Flieder! Wie in meiner Kindheit. In den Vorgärten dazu das kräftige Blau der Iris.
Die Autofahrt von Astrachan in die kalmyckische Hauptstadt Elista kann man in gut drei Stunden schaffen. Wir haben fast die doppelte Zeit gebraucht, weil ich die langsame beschauliche Fahrt durch diese Landschaft genießen wollte. Aber dann holt einen in dieser weiten, einsamen Landschaft plötzlich das Grauen des Krieges ein und die tragische deutsch – russische Schicksalsgemeinschaft. Am Straßenrand ein großer sowjetischer Soldatenfriedhof. Wir halten an und besichtigen die auf einem Hügel gelegene Gedenkstätte. Von hier aus geht der Blick kilometerweit. Und kilometerweit war damals das Schlachtfeld.
Inzwischen habe ich mehrere Soldatenfriedhöfe in Russland besucht und mir das Wort für Friedhof gemerkt: Kladwitsche. In der Gedenkstätte Massengräber für die gefallenen Soldaten. In jedem der großen Gräberfelder liegen hunderte Gefallener. Bis hierhin war die deutsche Wehrmacht im Sommer 1942 vorgestoßen – und schon ein halbes Jahr später im Zusammenhang mit der Schlacht von Stalingrad wieder abgezogen. Die erhoffte Ausbeutung der Ölfelder von Baku blieb eine grandiose Fehlkalkulation. Ebenso das Ziel, den alliierten Nachschub von Kriegsmaterial zu blockieren, der von Persien durch das Kaspische Meer und über die Wolga bis ins Innere des Landes ging. Das war das strategische Ziel der Schlacht um Stalingrad.
Besonders natürlich auf dem Hintergrund des eigenen in Russland gefallenen Vaters habe ich schon früh den Eindruck gehabt, dass Deutschland und Russland eine tragische, aber auch fruchtbare Schicksalsgemeinschaft verbindet. Und dass Russland für mich ganz klar zu Europa gehört. Nicht nur geografisch bis zum Ural, wie ich es in der Schule gelernt habe. Auch kulturell, Intellektuell, historisch und wirtschaftlich. Und, wie ich finde, auch politisch. Ich hoffe, dass mit Russland als Mitglied eines Tages eine neue Europäische Union entsteht – wenn die jetzige Europäische Union sich nicht durch partikularen Nationalismus selbst zerstört.
Ich war auf der Fahrt etwas eingenickt, als ich vor uns ein Schild sah: Res Publica Kalmyckien. Wow.: Res publica!. Sind die Römer bis hierher gekommen? Kalmyckien ist die einzige mehrheitlich buddhistische autonome Republik in Russland – und in Europa. Die Kalmycken sind stolz darauf, direkte Nachfahren von Dschingis Khan und seiner Goldenen Horde zu sein. Ursprünglich kam die „Goldene Horde“ aus der heutigen Inneren und Äußeren Mongolei und vor allem aus dem Gebiet um die Wüste Taklamakan. In den politischen Nachrichten gibt es manchmal auf die größere Stadt dort: Urumqui. Es ist die Region des Turkvolkes der (muslimischen) Uiguren. Peking versucht schon seit längerem, das Aufbegehren gegen die Dominanz der Han-Chinesen mitten in der ethnisch weitgehend geschlossenen Gesellschaft der Uiguren durch den Ausbau von Gefängnissen und politischen Umerziehungslagern niederzudrücken.
An den Gesichtszügen der Menschen hier in Kalmyckien sieht man unschwer, das sie der der Ethnie der Mongolen angehören. Ihr buddhistischer Glaube ist von Tibet aus hierher gekommen, und der Dalai Lama wird als religiöses Oberhaupt hoch verehrt. In der kalmyckischen Hauptstadt Elista steht eine beeindruckende buddhistische Tempelanlage: eine große, gold-geschmückte Pagode. Das große Tempelgelände ist umgeben mit einem Zaun, an dem unzählige bunte Stofffetzen im Wind flattern. Eine so große Tempelanlagen mitten in der weiten Steppe ist eine Überraschung. Wenn man die Tempelanlage betritt wird man von mehren auffallend schlanken Buddha-Figuren begrüßt, die eine – für den lamaistischen Buddhismus typische – „Zipfelmütze“ tragen. Beim Betreten der Pagode werde ich von einem Besucher mit ein paar Wörtern sehr freundlich auf Deutsch angesprochen. Beim Verlassen der Pagode treffen wir wieder aufeinander. Wir gehen zusammen die große Freitreppe hinunter auf den Tempel-Vorhof. Dort steht eine große , blumen-geschmückte Figur. Mein Mit-Besucher legt die Handflächen zusammen und verneigt sich mehrmals im Gebet vor dieser Figur mit den Worten: OM MANI PADME CHUM. Und wiederholt diese Worte mehrfach. Ich frage ihn, ob ich mit-beten dürfe. So beten wir beide. Ich sage, der Einfachheit halber nur: OM. Mein Mit-Beter strahlt mich an.
Om mnani padme chum ist das Mantra des Mitgefühls und der Weg zur Erleuchtung. Om steht für Gott und das sein und den Kosmos. Padma bedeutet Lotus und Hum ist eine Bekräftigunghsformel wie zum Beipiel des christliche Amen. Bedeutet aber gleichzeitig auch Weisheit. Es ist das bekannteste Mantra für den unreifen Adepten, welcher durch kontinuierliche Meditation den Weg der Erkenntnis beschreitet. Es ist das Mantra auf dem Weg zur Erleuchtung.
Ich erinnere mich dabei an eine Szene, als meine Tochter und ich durch China gereist sind. Das war 1991. Also nur zwei Jahre nach dem Massaker gegen demonstrierende Studenten auf dem Tienanmen-Platz.. China war damals noch völlig geprägt von einem indoktrinären Kommunismus. Die wirtschaftliche Öffnung stand noch bevor. Wir waren fast die einzigen Touristen, die das Land bereist. Ich würde heute das Land vermutlich nicht wiedererkennen. Damals besuchten wir auch einen Tempel. Ich meine mich zu erinnern, dass es ein konfuzianischer Tempel war. Wir beobachteten lange die Gläubigen in ihrem Gebet. Beeindruckend der große Gong, den ein Mönch anschlug, wenn ein Beter sein Gebet verrichtet und eine Opferkerze angezündet hatte.
Ich habe mich in die Schar der Beter eingereiht: Verneigen, Opferkerze. Gong. Meine Tochter war entsetzt: Papa, du bist doch Pastor und betest fremde Götter an! Vielleicht hilft zum besseren Verständnis; ihre Konfirmation war noch nicht lange her…. Ich weiß noch, wie ich stammelte: Aber heimlich habe ich doch das Vaterunser gebetet. So ganz überzeugend war dies offenbar nicht. Später hat sie Ethnologie studiert und sich über die Mission der Kirche in Afrika empört. Vor allem, dass die Kirche so rigide gegen witchdoctors, Zauberer und Heiler vorging, anstatt mit ihnen zusammen zu arbeiten…
In Elista haben Wladimir und ich in einer sehr schönen Hotelanlage gewohnt. Ein resort, das genau so auch in den USA stehen könnte. Und in der Tat wurde die Hotelanlage erst vor wenigen Jahren anlässlich der Schach-Olympiade fertig gestellt.. Der damalige Präsident war reich, und er liebte das Schachspiel. Also verordnete er, dass Schach zum Unterrichtsfach ab der ersten Klasse und Schach der Nationalsport Nummer eins wird. Das hat niemandem geschadet. Im Gegenteil. Der Präsident machte aus seinem Hobby ein Weltereignis: vor einigen Jahren fand in Elista die Schach-Olympiade statt. Für dieses Ereignis wurde ein neues Stadtviertel gebaut. Mit einem großen, in Form einer einer tradtionellen Jurte gebauten Zentralgebäude, das heute ein Museum beherbergt. Und vielen kleineren Gebäuden, in denen die angereisten Olympioniken untergebracht waren. Bezeichnenderweise trägt die Anlage den Namen City-Chess. Dieser Präsident zeichnete sich auch durch andere Wohltaten aus, war beliebt und überließ bei der nächsten Wahl das Amt auf geordnete und politisch korrekte Weise seinem Nachfolger.
Beim Frühstück trafen wir eine kleine Reisegrupe, die Englisch miteinander sprach. Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass sie aus den USA eingereist waren. Nicht etwa wegen besonderer Leidenschaft für das Schachspielen. Vielmehr waren sie unterwegs in Sachen Mission. Baptisten aus Seattle. Unser Gespräch kam ,merkwürdig schnell zu einem Ende, als ich sagte, dass ich Lutherischer Pastor sei. Es hatte ihnen offenbar die Sprache verschlagen, wo unser Gespräch doch gerade erst in Gang gekommen war.
Jurte und Kamel
Bei der Vorbereitung auf diese Reise hatte ich mir drei Dinge vorgenommen: eine traditionelle Kalmycken-Jurte zu besuchen, auf einem Kamel zu reiten und in Elista (übrig gebliebene) Mitglieder der lutherischen Gemeinde zu treffen. Die ersten beiden Wünsche haben sich erfüllt, der dritte Wunsch war vielleicht doch zu exotisch. Zu meiner Enttäuschung wurde mir versichert, dass es so gut wie keine Kamele mehr gäbe und die Mensch schon seit langem nicht mehr in Jurten, sondern in festen Häusern wohnten. Wir erfuhren aber, dass es am Stadtrand eine „Kamelstation“ gab. Dort könnten Besucher eine kleinen Ausritt auf einem Kamel machen. Die Kamele machten ein sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Sie sahen überdies irgendwie kuschelig aus. Ich hatte mir vorher keine Gedanken gemacht, wie ich nach oben auf ein solches Tier kommen könnte. Stabhochsprung? Kaum. Leiter? Schon eher. Dann aber war alles ganz einfach. Das Kamel knickt einfach vor mir ein und ich konnte es bequem besteigen. Dann schaukelte es ein wenig und los ging. Drei Tge und Nächte durch die Steppe bei sternklarem Himmel… Wenn ich die Augen zumachte, hatte ich für einen Moment dieses starke Erleben. Aber die Altersweisheit riet mir , besser nach ein paar Minuten abzubrechen. Immerhin: zwei dokumentarische Fotos gebt es. Eins mit der Kopfbedeckung eines Dschingis Khan Kriegers, das Schert wild und entschlossen über sich schwingend. Und ein anderes eher ziviles Foto.
Was meinen zweiten Wunsch anging: Besuch einer traditionellen Jurte hatte ich schon fast aufgegeben, als uns jemand sagte, dass es nicht weit entfernt zwei Jurten gäbe, in denen eine Art Heimatmuseum untergebracht sei. Tatsächlich. Vor einer der Jurten hielt ein Reiter. Nicht gerade im Outfit von Dschingis Khan, sondern zivil und bescheiden. Er führte einen kurzen Plausch mit dem Museumsführer. In den beiden Jurten konnte man zum einen viele Gegenstände des täglichen Gebrauchs sehen. Ein sehr stabiles Bett aus Holz, eine Wiege, Handwerks- und Küchengeräte und Kleider. Also ein Blick ins Alltagsleben des Nomadenvolks aus vor-kommunistischer Zeit. Außerdem Pfeil und Bogen, Speere und Lanzen. Was mich am meisten interessierte aber war das Gewand eine Schamanen. Aus Tierfell mit mit vielen Zottel und einer Kopfbedeckung, die das Gesicht verhüllt. Die durfte ich anziehen. Und dann tanzte ich jenen alten Tanz der Schamanen, wie es ihn seit Menschengedenken gibt. Auf einer großen Handtrommel schlug ich selbst den Rhythmus dazu. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre in Verzückung geraten.Wladimir hat das entsprechende Foto dazu gemacht. Ich habe es betitel „Schamanenschüler aus Bienenbüttel in Ekstase“. Aber nur an ausgewählte Adressaten gepostet….
Nun fehlten mir nur noch die Lutheraner. Aber die waren alle auf Arbeit, und wir mussten weiter.
Das Volk der Kalmycken und ihre Geschichte
Die Kalmycken kommen ursprünglich aus der Inneren und Äußeren Mongolei. Sie sind um 1615 zum tibetischen Buddhismus konvertiert und um 1630 hierher in die kaum besiedelte Steppe eingewandert und bildeten ein eigenes Khanat. Die Kalmycken sind das einzige ältere Volk in Europa, das in seiner Mehheit buddjistisch ist. Ein tibetischer Buddhismus mit dem Dalai Lama als höchstem religiösen Anführer. Im Jahre 2005 wurde der neue Tempel in Elista eingeweiht. Der Dalai Lama hat den Tempel viele Male besucht.
Die Kalmyken wurden zu Verbündeten des Zaren und bildeten eine Art Pufferzone zu den muslimischen Völkern an der Südgrenze des Zarenreiches. Dann aber schlossen sie sich den Kosaken-Aufständen in der Zeit von Katharina der Großen an. Nachdem der Aufstand blutig niedergeschlagen war, verloren die Kalmycken alles bisherigen Privilegien und ihre Autonomie. Im Russischen-Napoleonischen Krieg kämpften die Kalmycken auf Seiten des Zaren und etliche von ihnen zogen nach dem Sieg 1815 mit in Paris ein. In der Zeit des Ersten Weltkrieges kämpften viele Kalmycken – ebenso wie die Donkosaken – auf der Seite der Weißen (zaristischen) Armee. Nach ihrem Siegeszug richteten die Bolschewisten ein Massaker unter den Kosaken an . 70% der kosakischen Bevölkerung wurden umgebracht. 150 000 Angehörige der Weißen Armee konnten in letzter Minute über die Krim nach Istanbul fliehen. Darunter auch viele Kalmycken.
Die Diaspora-Kalmycken haben in Belgrad , Sofia, Lyon und Paris eigene buddhistische Tempel errichtet. Viele von ihnen sind später in die USA ausgewandert.
Im Jahr 1920 bot die kommunistische Regierung in Moskau den in der Diaspora lebenden Kalmycken eine Amnestie an. Diejenigen, die zurückkehrten wurden schikaniert und viele von ihnen getötet. 1929 machte die Regierung Kalmyckien zu einem eigenständigen Regirungsbezirk (oblast). In derselben Zeit begann die Zwangskollektivierung und der Zwang, das Wohen in den traditionellen Jurten aufzugeben und statt dessen in festen Häusern zu leben. Beides war für dieses freiheitsliebende Nomadenvolk gleichbedeutend mit der Zerstörung ihrer traditionellen Lebensweise und eine Zerstörung ihrer Kultur. Viele Kalmycken wurden nach Sibirien in Arbeitslager deportiert. In den Jahren 1932/33 starben viele an Hunger (ebenso in der Ukraine). Priester und Mönche wurden erschossen, Tempel und Klöster geschlossen und kalmyckische Literatur verbrannt.
Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 hofften wahrscheinlich viele Kalmycken, dass es ein Ende der sowjetischen Unterdrückung geben könnte. Zumindest anfangs war es wohl so. Währedn der deutschen Besetzung (Sommer bis Ende 1942) bekamen die Kalmycken ihr enteignetes Land zurück, Tempfel und Klöster wurden wieder geöffnet und jeder konnte seinen Glauben frei ausüben.Etwa 3 000 Kalmycken ließen sich sogar in die Wehrmacht als Verbündete integrieren. Allerdings eine verschwindend kleine Anzahl angesichts der vielen, die für die Rote Armee kämpften.
Am 28. Dezember 1942 wurde das Kalmychische Volk als Ganzes der Kollaboration mit dem Feind angeklagt. Innerhalb von 24 Stunden wurden sie in Viehwaggons verladen und nach Sibirien abtransportiert. Allein während der mehrwöchigen Fahrt – ohne Essensvorräte und ohne Winterkleidung kamen allein 30 – 40% von ihnen um. Ein Völkermord. Auch der Name Kalmyckien wurde ausgelöscht. Im Jahre 1957 wurde eine Rückkehr möglich. Aber die Rückkehrer stellten bald fest, dass das Land, dass sie einmal besaßen inzwischen unter Ukrainern Russen aufgeteilt war.
Nach der kurzen Besatzungszeit haben sich etwa 15.000 Kalmycken den deutschen Truppen auf dem Rückmarsch. Sie landeten schließlich in Österreich. Sie wurden von den Alliierten dort gezwungen, in ihre Heimat zurückzukehren . Dies haben die meisten von ihnen nicht überlebt.
Noch einmal zurück zur Lutherischen Gemeinde in Elista. Die Gemeinde war schon immer klein und arm. Gegründet von deutschen Einwanderern in der Zeit von Katharina der Großen. Es ist dieselbe Zeit, in der auch das Herrnhuter Sarepta gegründet wurde. Im Unterschied zu Sarepta hat sich die Gemeinde jedoch nie entwickeln können. Das Land, die Steppe war unfruchtbar für den Anbau von Getreide oder Früchten, Und die nomadische Bevölkerung erwies sich als nicht besonders interessiert an Martin Luther. Sie hatten Dschingis Khan und den Dalai Lama aus Tibet, der sie – anders als Martin Luther – bis heute anlächelt.
Es ist ein karges Land und hier zu leben ist eine Herausforderung. Aber im Frühjahr erblüht die Steppe in ihrer zarten Schönheit. Ich kann mir vorstellen , dann einmal der kleinen Gemeinde hier als Pastor zu dienen. Es gibt weder Kirche und Gemeindehaus noch eine Unterkunft für mich. Aber ich könnte ja über das russische Internet eine Jurte kaufen (gibt es schon ab etwa 800 €) und irgendwo in der Steppe aufschlagen. Und zur Yoga-Meditation könnte ich rübergehen zu den buddhistischen Kollegen. Als Gegenleistung und wenn sie wollen, könnte ich ihnen natürlich etwas über Martin Luther erzählen….
Bis vor wenigen Jahren war die lutherische Gemeinde in Elista noch offiziell als „Kirche“ registriert. Die neuere russische Gesetzgebung über „Ausländische Agenten“ , soll unter anderem den missionarischen Einfluss der vielen kleinen, US-amerikanischen Missionskirchen in Russland eindämmen, ber auch auch sozial-diakonische Initiativen und deren Geldtransfers kontrollieren. Viele kleine lutherische Gemeinden sind dadurch in große Schwierigkeiten geraten. Bis jetzt konnten sie auch in Privatwohnungen zusammen kommen und ihre Gottesdienste feiern. Das neue Gesetz sagt aber ausdrücklich, dass Wohnungen und Häuser, in denen „dienstliche“ Tätigkeiten verrichtet , also z.B. Gottesdienste gefeiert werden, nicht auch als privater Wohnraum genutzt werden dürfen. Viele kleine Gemeinden können es sich aber finanziell gar nicht leisten, eine Wohnung oder ein Haus nur für den „Dienstgebrauch“ anzumieten. Und schon gar nicht leisten, eine Immobilie zu kaufen. Deshalb hat sich die lutherische Gemeinde in Elista aus dem staatlichen Register austragen lassen. Jetzt existiert sie nur noch als „religiöse Gruppe“ , die nicht registriert werden muss und weniger unter staatlicher Kontrolle steht.
Russland heute
Zum Schluss noch ein paar Gedanken zur Situation in der gegenwärtigen russischen Gesellschaft. Ich beziehe mich dabei auf ein Interview mit Natalja Akindinowa, von der Higher School of Economics in Moskau. (Süddeutsche Zeitung vom 13, Mai 2019). Russlands Wirtschaft geht es alles andere als gut. Das hängt zum Teil mit den Sanktionen infolge der Krim-Annexion zusammen. Die durchschnittliche Bevölkerung kann sich immer weniger leisten, die Jobs sind oft schlecht bezahlt und die Arbeitsbedingungen bedenklich, die Steuerabgaben steigen, das Renteneintrittsalter ist gestiegen und die dann gezahlten Renten kaum ausreichend, um davon leben zu können. Immer weniger Menschen arbeiten in großen Unternehmen mit gutem und sicheren Gehalt. Viele arbeiten in Kleinbetrieben, sind selbständig oder arbeiten schwarz. Sie sind es vor allem, die spüren, dass die Wirtschaft stagniert.
Die Binnennachfrage ist zu gering. Auf dem internationalen Markt sind russische Produkte selten konkurrenzfähig. Der internationale Bankverkehr unterliegt strengeren Kontrollen. Und Europa und die USA haben höhere Ansprüche, wie Unternehmen geführt werden müssen. Vor allem aber ist es vielleicht das unsichere Rechtssystem in Russland. Rechtsorgange missbrauchen ihre ihre Macht. Strafverfolgung wird benutzt, um Geschäftsstreitigkeiten auszutragen. Das schreckt Investoren ab. Warum bringt das die Regierung bisher nicht in größere Schwierigkeiten. Die Menschen sind mit den allgemeinen Lebensbedingungen unzufrieden, aber mit ihrer Regierung?
In der „Zwischenregierungszeit“ unter Medwedjew als Präsident (2008 -2012) war die Gesellschaft freier. Es gab viele Vorschläge für liberale Reformen und offene Kritik an den Machtstrukturen ohne negativen Folgen für die Kritiker. Man sprach sogar davon, dass eine stärkere politische Opposition dem Land gut täte. Nach Putins Wiederwahl und Inauguration als Präsident gab es größere Demonstrationen. Viele Demonstranten kamen danach ins Gefängnis. Ein deutliches Signal, dass solche Demonstration jetzt nicht ungefährlich sein würden. Zuerst wurden politische Freiheiten unterdrückt und dann auch wirtschaftliche Freiheiten. Es gibt Verhärtungen und Verbote in allen Bereichen. Es ist schwer, den Widerstand der konservativen Bürokraten zu bewältigen.
Putins Umfragewerte sinken und das Vertrauen der Bevölkerung nimmt ab. Und: Proteste brauchen ein hohes Maß an Selbstorganisation, Solidarität und Erfahrung. Das findet sich kaum in Russland. Sicherlich auch, weil es dies noch nie in einem größeren Maße gegeben hat. Weder vor 1917 noch danach. Es fehlt die Bereitschaft der Menschen, sich mit Problemen zu befassen, die nicht den eigenen privaten Bereich betreffen. Und politische Initiativen werden im Keim unterdrückt.
Aber immer noch scheint die Wirtschaft trotz der großen Probleme stabil genug zu sein. Das Land hat keine Schulden. Grundlage dafür sind Öl und Gas. Eine große Rolle spielen auch Großbetriebe, die seit der Sowjetzeit bestehen: im Maschinenbau, der Militärindustrie, der Chemieindustrie , in der Metallverarbeitenden Branche. Oft sind es Monopole mit Staatsaufträgen. Die bedeutendsten Oligarchen in Russland finden Platz an einem Tisch – mit der Regierung.
Wirkliche Reformen müssten wahrscheinlich bei den Rechtsorganen ansetzen. Heute werden Strafverfahren für Geld eröffnet und für Geld geschlossen. So kann man unliebsamen Konkurrenten schaden. Man kann nicht sagen, dass Gerichte und Staatsanwälte ihre Funktionen nicht wahrnehmen. Aber in vielem sind sie korrumpierbar. Das spüren die Menschen, und es lässt sie vorsichtig sein. Lieber nicht den Kopf hinhalten. Besser nicht die Initiative ergreifen oder eigene Verantwortung übernehmen. Das gilt auch für den kirchlichen Bereich.
Sarepta, Elista und Hannover
16. Mai 2019