Liebe Freunde,
neulich fragte mich jemand, ob ich einen Kulturschock bekommen hätte. Also, was das angeht: Ich bin inzwischen ja auch manches Fremdartige gewöhnt…. Aber alles in allem geht es mir hier gut. Ich war ja auch schon einmal als
Vertretungs-Pastor tätig – bei minus 40 Grad. Das war in Chabarowsk, Russischer Ferner Osten. Da hätte ich mir ja fast was abgefroren. Hier ist es in dieser Hinsicht ungefährlicher.
Ich sitze hier in meinem Pastoren-Arbeitszimmer an meinem Schreibtisch,
habe Telefon, Kopiergerät, Internet, sms, whats app… Wenn ich hier so sitze, Briefe schreibe, lese, Predigt mache – finde ich das alles ganz vertraut und normal. Fast käme ich auf den Gedanken: Was braucht der Mensch mehr zum Leben? (Na gut, mir fällt da auch gleich einiges ein….).
Bis heute waren die Maler im Haus, haben alle Zimmer (das Haus ist groß!) gestrichen und auch die Fassade im Eingangsbereich. Das war ein bisschen störend, aber die
pinteros waren nett und wir haben sehr freundlich auf Spanisch (oder was ich mir darunter vorstelle) kommuniziert. Heute habe ich deren Arbeit im Auftrag der Gemeinde „abgenommen“ . Alles ganz ordentlich, aber einige Stellen müssen noch nachgearbeitet werden, habe ich gesagt. Die Antwort: Claro, manyana….
Die Mitglieder der Gemeinde hier gehören überwiegend der älteren Generation an. Der Kindergarten – im selben Gebäudekomplex wie Kirche und Pfarrhaus – ist groß und freundlich eingerichtet mit einer kompetente Leiterin. Aber es gibt zu wenige Kinder und der Kirchenvorstand überlegt, wie die Gemeinde diesen Gebäudeteil anderweitig (gewinnbringend) vermieten könnte. Das Allein-stellungsmerkmal des Kindergartens soll das Angebot eines dreisprachigen Unterrichts sein (neben spanisch auch deutsch und englisch). Aber es wird doch ganz überwiegend Spanisch dort gesprochen. Eines der Kinder spricht ganz gut von Hause aus deutsch.
Die Konkurrenz der Kindergärten unter einander ist groß: jeder, der will, kann im Grunde genommen einen Kindergarten aufmachen, und das passiert auch – vor allem im jeweiligen Nachbarschaftsbereich. Das ist natürlich sehr wichtig, weil es keinen wirklich funktionierenden öffentlichen Verkehr gibt und die Eltern die Kinder mit dem Auto bringen und holen müssen. Und wer kein Auto hat, gibt sein Kind dann im Nachbarschafts-Kindergarten ab, wobei die pädagogische Qualität dann womöglich weniger wichtiger ist. Die deutsche Humboldtschule ist nur etwa 1 km entfernt. Dort gibt es auch einen zwei-sprachigen Kindergarten – und dazu einen Hol- und Bringe-Dienst mit Schulbussen! Das ist natürlich eine grosse Konkurrenz zum Kindergarten der Gemeinde.
Gleich bin ich mit einer Kirchenvorsteherin verabredet, die als Dolmetscherin in der Humboldtschule arbeitet. Sie hat für mich einen Termin mit dem Direktor vereinbart. Bin gespannt! Und heute Nachmittag ist Seniorentreffen. Ich stelle mir vor: wie in einer deutschen Kirchengemeinde auch: Andacht, Kaffeetrinken, Gesprächs-Input/ Thema, Klönschnack…. Mal sehen.
Am Freitag, also morgen werde ich hier im Haus meine erste (professionelle) Spanischstunde (10 USD) haben. Es haben sich darüber hinaus mehrere hier in der Gemeinde angeboten, mit mir Spanisch zu machen. Das ist vielleicht gar nicht schlecht, weil ich auf diese Weise dann gleichzeitig auch einen Gemeinde-Besuch machen könnte….
Was den Kulturschock angeht: der bezieht sich im Augenblick vor allem auf die „Verkehrsplanung“. Wie in den US amerikanischen Städten fährt man auf breiten Strassen – die alle gleich aussehen – ins Zentrum. Auf dem Weg: Reklame über Reklame. Meistens von US-Firmen. Ansonsten gibt es so gut wie keine Strassen-Beschilderung. Das System ist: Avenidas (0/ central – 19) und (quer dazu) Calles (0 – unendlich). Es gibt keine Hausnummern. Man orientiert sich an markanten Gebäuden.
San José ist umgeben von einem (offenbar auch für Ticos) unüberschaubaren Highway-Wirrwarr. Nicht selten enden vierspurige Highways ganz abrupt und man fährt dann nach links oder rechts auf kleinen Strassen weiter. Die Zu- und Abfahrten zu den Highways sind nicht (!) gekennzeichnet. Mehrfach bin ich schon daran vorbeigefahren. Die Auffahrten (alle, so ist mein Eindruck!) sind winzige Abzweigungen, die in einer scharfen Kurve auf den Highway führen. Wenn mein Navi anzeigt, dass dies die Auffahrt ist, kann ich das immer wieder kaum glauben, denn ich habe den Eindruck, dass ich eher auf dem Hinterhof einer Autowerkstatt landen werde oder auf einem Stück brachem Feld. Aber es ist tatsächlich eine Highway-Auffahrt. Meine Leute hier lachen sich kaputt, wenn ich von meinen Erfahrungen mit dem Straßenverkehr erzähle: Ja, Kurt, genau so ist das hier. Die Straßenplanung sei ja auch von jemandem gemacht worden, der keinen Führerschein hat….
Ansonsten bin ich schon mal in der näheren Umgebung selbst Auto gefahren und mehrfach auch ins Zentrum (dauert 1 Stunde Fahrtzeit für vielleicht 6 km). Und gestern war ich in Cartago . Im Osten gelegen. Also auf dem Highway an San José vorbei Richtung Osten: Karibik. Cartago war früher einmal die Hauptstadt von Costa Rica. Jetzt ist es eher eine Kleinstadt. Mit interessantem großem mercato, einer Eisenbahnlinie (Kaffeetransporte zur Küste) und der beeindruckenden Ruine einer großen Kirche mitten im Zentrum. Die Kirche wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von einem Erdbebeben zerstört. (Mir fällt ein: Ceterum censeo, carthaginem esse delendam.. Aber da ging es um Hannibal und Konsorten).
Etwa 2 km vom Zentrum entfernt, am Stadtrand gelegen, findet sich eine riesige, 1926 erbaute Basilika. Draußen wehen große Flaggen in gelb/weiß – Symbolfarben des Vatikan. Es ist die wichtigste Pilgerstätte für die Ticos. Sie kommen jedes Jahr am 2. August zu Zehntausenden hierher gepilgert, sogar aus Nicaragua und Panama. Viele zu Fuß und die letzte Strecke auf Knien rutschend. Die Basilika ist der Schutzpatronin des Landes, der Negrita geweiht. Im Jahre 1635 hatte ein Indianermädchen an dieser Stelle eine steinerne Marienfigur gefunden . Nach der Legende kehrte diese Figur zweimal auf wundersame Weise an diese Stelle zurück – ein göttliches Zeichen dafür, dass hier eine Kirche gebaut werden sollte – oder wer immer die Idee hatte.
Auf der Rückfahrt von Cartago ist mein Navi mehrfach ausgefallen – gerade dort, wo ich es dringend gebraucht hätte! Mist! Ich musste dann jedesmal warten, bis ich wieder Netzempfang hatte. Das war natürlich ärgerlich und hat viel Zeit gekostet. Mein erster Gedanke: Ich muss mein Navi dringend von jemandem überprüfen lassen! Dann hat mir jemand gesagt: Ja, Kurt, das kommt hier schon öfter vor. Kann man nichts machen…. Ich weiß nur nicht, wie auf Dauer die übrigen Verkehrsteilnehmer reagieren werden, wenn ich das Auto auf einer Kreuzung stehen lasse und warte bis die diagitale Welt mir wieder behilflich ist….
Von Cartago geht die Strasse etwa 30 km hoch zum Vulkan Irazu, dem wohl bekanntesten Vulkan des Landes. Von dort oben hat meine herrliche Aussicht – aber offenbar nur selten. Meistens ist auf 2000 m Höhe alles in (Regen)wolken verhangen. Natürlich werde ich da bald einmal hochfahren und dann auch weiter bis Turrialba – einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt auf der Strecke San José zur Karibik-Küste nach Limón. Dies alles liegt auf der „falschen“ Seite – also im Osten. Für mich heisst das: immer durch oder vorbei an San José – und das braucht (Stau)zeit.
Auf der „richtigen“ Seite, also im Westen und Norden liegen die bekannten Nationalparks – und natürlich der Strand der Pazifikküste….
Während ich dies schreibe, spielt nebenan in der Kirche gerade Herr Beck, ein pensionierter Tierarzt, der lange Zeit für die GTZ hier im Land gearbeitet hat (Verbesserung der Rinderzucht). Zuletzt hat er hier an einer Hochschule als Professor gelehrt. Er hat mir angeboten, mit ihm in den Nationalpark Monteverde (Nordosten) zu fahren. Dort hatte er seine Forschungsstation.
Aber noch ist es nicht so weit. Jetzt ist erstmal Seniorenkreis und dann spielt im benachbarten Fußball-Stadion Costa Rica gegen Panama…..
Viele Grüsse,
Kurt Jürgen